IvanTKlasnic schrieb:
Das heißt nicht, dass es nicht auch solche Programme bei den ÖR geben darf, also es sollte zumindest ein deutlich merklicheres Gegengewicht geben als aktuell.
Bis hierhin alles richtig, aber diesem Punkt widerspreche ich ausdrücklich und radikal: Diese von mir angesprochenen Formate gehören verbannt. Sie können - sollten sogar - ersetzt werden durch Diskussionsrunden, wo es um ein einziges Thema geht, das von allen Beteiligten in aller Tiefe und mit verschiedensten Argumenten und Sichtweisen (solange sich diese an nachweisbaren Fakten orientieren) erörtert wird und wo ständiges Dazwischenquatschen und vor allem das Benutzen unlauterer Argumentationsfiguren explizit benannt und z.B. in krassen Fällen durch Verkürzung der Redezeit sanktioniert wird. Das kriegt gefühlt jede popelige lokale Podiumsdiskussion kostengünstig besser hin, als die teuer produzierten Formate von Maischberger, Plassberg, Will, Lanz etc. wo alle fünf bis fünfzehn Minuten das Thema gewechselt wird (und suggeriert wird, dass das alles trotzdem irgendwas miteinander zu tun hätte), wo jeder letztendlich drei Minuten Zeit hat und da gerade mal seine Meinung dazu sagen kann, wo objektive Tatsachen und anekdotische Evidenz (meist von irgendwelchen "Betroffenen") auf eine Stufe gestellt werden, wo Moderatoren regelmäßig unterbrechen, sobald ein Gedanke komplexer und differenzierter als das Schema "Ursache => Folge" ist, kurzum: wo all die Dinge getan werden, die nach Lehrbuch nicht das Geringste mit einer vernünftigen Diskussion zu tun haben. Gleichwohl werden diese Formate so aber angepriesen. Nicht nur also, dass der ÖR damit seinem Bildungsauftrag nicht nachkommt, vielmehr konterkariert er diesen dadurch geradezu. Und dafür bezahlen wir dann auch noch Zwangsbeiträge, wo ich mir bei Privaten wenigstens noch aussuchen kann, den Schrott nicht anzumachen und mich damit an dessen Finanzierung nicht zu beteiligen. Und damit will ich das allgemeine GEZ-Fass gar nicht aufmachen, es geht mir nur darum zu verdeutlichen, dass es ein Unterschied ist, ob ich zwangsweise Formate mitfinanziere, die mich einfach nur nicht interessieren, oder Formate, die auf gut deutsch Volksverarsche sind. Ich verstehe bis heute nicht, wie Intendanten des ÖR es überhaupt mit ihrem Berufsethos vereinbaren können, so etwas laufen zu lassen.
So: Rant Ende.
Und das jeder mitreden möchte ist an sich auch gar kein Problem, das Problem ist eher, dass man nicht zugeben mag, wenn sich der Gegenüber mit einem Thema besser auskennt, als man selbst. Es ist wichtig, dass Leute, die sich nur bedingt mit einem Thema auskennen, laut sind, um Aufmerksamkeit zu schaffen. Und da kann man gerne auf die Expertise von Anderen verweisen. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass man eben dieses tut und nicht so tun, als wäre man allwissend. Zu erkennen, dass es bei einem Thema soweit in die Tiefe geht, dass man es nicht mehr wirklich versteht, ist in meinen Augen ein essenzieller Skill, den man braucht um an politischen Diskussionen teilzunehmen. Das ist weder schlimm, noch verwerflich, noch muss man seinem Gegenüber automatisch Recht geben. Man sollte immer skeptisch sein - das gilt aber auch der eigenen Meinung gegenüber. Ist doch vollkommen in Ordnung zu sagen: "hey, wir sind hier in einer Tiefe angelangt, wo ich mich nicht mehr genug auskenne, ich stehe deiner Ansicht skeptisch gegenüber, kenne mich aber nicht genug aus, um dich zu widerlegen." Das zu machen traut sich aber kaum jemand - ich habe da auch mitunter meine Schwierigkeiten mit.
Ergänzen würde ich: Was sehr viele Leute erstmal lernen müssten, wäre:
1) dass es bei einem (sinnvollen) Diskurs nicht um Gewinnen oder Verlieren der Diskutierenden geht, sondern um gemeinsamen Erkenntnisgewinn durch Austausch.
2) dass man die sachliche Ebene und den argumentativen Streit trennen muss von der persönlichen Ebene und von Emotionen.
Mit das schönste, was man mir je gesagt hat, kam von einer guten Freundin, die mir erklärte, dass man mit mir so herrlich streiten könne, weil - egal wie sehr vorher die Fetzen in der Debatte fliegen würden - dies nie hinterher Auswirkungen auf den persönlichen Umgang miteinander habe.