06.07.2023 16:05· Bearbeitet
Vorab nochmal: Ich verstehe den Unmut und die Plötzlichkeit ist wirklich hart – wenn es denn so kommt wie es gerade diskutiert wird. Ich persönlich glaube das nicht und denke da wird es eine Karenzzeit geben – aber mal sehen.
Dennoch finde ich manche Argumente etwas schief:
JackD schrieb:
Nochmal der Kernpunkt, warum mich das triggert: Es ist keine Reichensteuer auf irgendwelche Vermögenswerte, eine soziale Umverteilung oder eine Kürzung von Privilegien. Das geht an das Familienbild. Das wird einfach die Entscheidung vieler Eltern beeinflussen, wie lange sie Elternzeit nehmen (können). Und jeder Monat mehr ist enorm wichtig für die Familie.
Ehrlich gesagt glaube ich das nicht. Wir reden hier wirklich von Paaren mit enormem finanziellem Wohlstand - ich glaube kaum, dass hieran wenn man es wirklich will das "ob" und die Dauer von Elternzeit hängen werden. Eventuell bei deutlich unterschiedlichen Gehältern das "wer", das kann sein. Aber wer mehr als 150k zu versteuerndes Einkommen hatte, bei dem wird es der absolute Ausnahmefall sein, wenn es da keinerlei Vermögenswerte gibt, die man für eine (wie ich auch finde) enorm wichtige Zeit für die Familie nutzen könnte.
Yertle-the-Turtle schrieb:
Du schießt hier nicht gegen irgendwelche Porsche-Manager, sondern knallhart gegen die gebildete Mittelschicht, die Zeit und Geld ins Studium investiert haben um da zu stehen wo sie jetzt sind.
(...)
Da kommste am Ende bei +-0 raus und darfst Dich auch noch einschränken.
Und wie gesagt. Du hast keine Garantie nach 10-12 Monaten wieder arbeiten zu können, da die KiTa Situation prekär ist. Wenn es blöd läuft lebt man dann 1.5-2 Jahre von einem Gehalt.
Ich will mit dem folgenden nicht dich persönlich angehen, finde aber in dem fett markierten Satz klingt mE eines des größten generellen aktuellen Probleme in Deutschland an:
Die Mehrheit in D scheint mir immer noch davon auszugehen, dass ihnen ein einmal erreichter materieller Lebensstandard für immer zustehen und nie wieder sinken darf. Ich verstehe zwar auch, dass es psychologisch immer schwer ist, einen Schritt zurück zu machen - aber die Selbstverständlichkeit mit der eine Einschränkung des bisherigen Lebensstils in Deutschland gerne als indiskutabel festgeschrieben wird, finde ich wirklich krass (und das meine ich wieder generell und nicht auf dich persönlich bezogen).
Das sieht man auch in der Klimadiskussion immer wieder - die Leute denken nicht "Fuck, wir MÜSSEN den Planeten lebenswert halten (und natürlich unser Leben nach diesem Ziel ausrichten)" sondern "Erstmal ist mein Leben ist gesetzt wie es ist - und wenn wir dann noch den Nachfolgenden was hinterlassen können sollten - schön, aber wenn nicht halt nicht".
Aber da wollt ich gar nicht hin - auch hier sind mir einige Beiträge irgendwie sehr auf die eigene Position bezogen und klingen manchmal nach einem ungeschriebenen "Im Zweifel lieber keine Kindergrundsicherung". Ich finde stattdessen könnte man - wenn man es schon in solch eine krasse Gehaltsklasse geschafft hat - auch überlegen, ob es ein weiteres Kind es nicht wert ist, den eigenen Lebensstil so anzupassen, dass auch eine selbstfinanzierte Elternzeit zumindest mal nicht ausgeschlossen ist. Nur mal überlegen, nur mal nicht von vornherein ausschließen.
Vielleicht gibt es Fälle, in denen es wirklich am Ende nicht geht. Aber irgendwie kann ich da schwer folgen, wenn das in der Gehaltsklasse von vornherein gar keine Option ist.
Ich habe z.B. nach der Uni in wenigen Berufsjahren - von einem Gehalt, dass auch mit dem meiner Partnerin zusammen wirklich meilenweit von einem gemeinsamen Unterfallen unter die in Rede stehende Grenze entfernt war - genug zurückgelegt, um mir vor einem Jobwechsel (ohne ALG oder andere Sozialleistungen) fast ein Jahr unbebundene Zeit zu ermöglichen und dabei meinen Lebensstandard halten zu können. Da musste ich an mancher Stelle schauen, dass das funktioniert und auf das ein oder andere verzichten, ja. Aber ehrlich gesagt fand ich es so heftig jetzt nicht und es fällt mir irgendwie einfach schwer mir vorzustellen, dass das für ein Paar, das easy das Doppelte von uns damals zur Verfügung hat, nicht zumindest eine Option bilden können soll.
Ich weiß, man ist froh, das nicht (mehr) zu haben und man hat einiges dafür getan - aber das Leben an finanzielle Zwängen ausrichten zu müssen, das ist für einen riesigen Teil der deutschen Bevölkerung einfach absoluter Normalzustand. Gerade die, für die die Kindergrundsicherung gedacht ist, würden sich wundern wenn nicht. Da geht es halt wirklich jeden Sommer drum, ob das Kind mit den anderen ins Schwimmbad (oder auf Klassenfahrt) kann oder als einziges daheim bleibt.
Dieses Gesamtbild gerät mir irgendwie manchmal aus dem Blick wenn ich den Schockierungsgrad von Menschen mit über 150k zu versteuerndem Einkommen in der aktuellen Debatte (nicht nur hier) lese und höre.