Stebbard schrieb:
Cove schrieb:
Stebbard schrieb:
Du bist noch Studierender, richtig? In welchem Maße hat du dazu "geforscht"? Als Teil eines Forschungsverbunds?
In Deutschland gibt es einen Anteil von 5-10% rechtsextremer Bürger, der Wert ist eigentlich über Jahrzehnte hinweg relativ stabil, doch rund weitere 20% pflegen offen fremdenfeindliche oder autoritäre Vorstellungen, die aber noch nicht im rechtsextremen Bereich anzusiedeln sind. Früher fischte die Union diese Leute ab, aber mittlerweile finden sie sich bei der AfD. Zur Frage, warum die Menschen AfD wählen, gibt es ja seit langer Zeit die Autoritarismusstudie meiner Kollegen in Leipzig (früher Mitte-Studie), deren Befunde eigentlich ganz klar zeigen, dass die Wähler die Partei vor allem aufgrund ihres ausländerfeindlichen und antidemokratischen Profils wählen.
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Entschuldige bitte, als ich von "geforscht" sprach, wollte ich keinem "Doktoranden" auf den Schlips treten.
Dafür, dass du dir viel auf deinen Status einzubilden scheinst, ist deine Argumentation hier aber nicht gerade standesgemäß. Woher nimmst du diese Zahlen? Aus der Mitte-Studie? Diese wird schon seit Jahren kritisiert. Nicht nur wegen ihrer tendenziösen Fragebögen, sondern vor allem auch wegen ihres umstrittenen Verständnisses von "Extremismus" und der sensationalistischen Öffentlichkeitsdarstellung.
Du sagst "der Anteil rechtsextremer Bürger" sei "über Jahrzehnte hinweg relativ stabil". Glaubt man der Mitte-Studie, wie du ja vorgeschlagen hast, dann stimmt diese Aussage leider nicht. In Westdeutschland hat sich der Wert für ein "geschlossenes rechtsextremes Weltbild" von knapp 11% auf 5% reduziert. Ähnliches gilt auch für viele andere Indikatoren, wie bspw. den Antisemitismus, der (laut der Studie) heute auf einem historisch niedrigen Niveau liegt. Auch im Osten ist die rechtsextreme Einstellung keinesfalls als "stabil" zu bezeichnen. Dort hatte sich der Wert von 2008 bis 2012 von knapp 8% auf knapp 16% fast verdoppelt und sich bis 2014 wieder auf knapp 8% halbiert. Dieser mehr als signifikante Sprung spricht entweder gegen die Methodik oder für höchst volatile politische Einstellungen.
Deine Behauptung "rund weitere 20% pflegen offen fremdenfeindliche oder autoritäre Vorstellungen" ist ebenfalls nicht ganz korrekt. Laut Mitte-Studie befürworten 3,7 % eine "rechtsautoritäre Diktatur" (2,7% West, 7% Ost). Deine 20% beziehen sich wahrscheinlich auf den "Anteil geschlossen manifest ausländerfeindlich Eingestellter". Dieser liegt sogar bei 24% (22% West, 31% Ost). Hierbei sei jedoch zu bedenken, dass gerade in diesem Bereich die gestellten Fragen der Studie höchst fragwürdig sind. So wird bspw. die Zustimmung zu Thesen wie diese gemessen: "Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat nicht großzügig sein", "die meisten Asylbewerber fürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden" oder "Sinti und Roma neigen zur Kriminalität". Daraus Ausländerfeindlichkeit abzuleiten ist ziemlich weit hergeholt, nicht? Generell sind Aussagen wie, "wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken?, eher auf ein intellektuelles Publikum zugeschnitten. Aber die Studie befragt zu 80% Bürger ohne Abitur. Ich könnte an dieser Stelle noch mehr dazu schreiben, wieso ich wenig von dieser Studie halte.
Deine nächste Aussage, "früher fischte die Union diese Leute ab, aber mittlerweile finden sie sich bei der AfD", ist ebenfalls ungenau (und ohne Quelle). Zunächst einmal wirfst du mit "diese Leute" beide vorher von dir genannten Gruppen in einen Topf. Die Mitte-Studie ist hier wesentlich genauer, dort wird geschrieben, dass "[j]ene Bundesdeutschen, die zwar schon lange extrem-rechte Einstellungen teilten, [...] aber bisher ihr Kreuz bei SPD oder CDU gemacht hatten, [...] jetzt entsprechend ihrer Einstellungen" [S. 26] handelten. Es geht also nur um extrem rechts eingestellte Wähler. Du nennst auch nur die Union, dabei ist die Kernaussage der Studie doch gerade, dass die "Mitte" rechtsextreme Tendenzen hat, also Wähler aus allen etablierten Parteien. Auch SPD und Linke haben massiv an die AFD verloren, was zu außen vor lässt.
Am fragwürdigsten ist jedoch deine Aussage, die Mitte-Studie deiner "Kollegen" beantworte "ganz klar" die Frage, "warum die Menschen die AFD wählen". Denn die Studie selbst macht keinerlei Aussagen zu Wahlentscheidungen. Wenn du schreibst, "dass die Wähler die Partei [AFD] vor allem aufgrund ihres ausländerfeindlichen und antidemokratischen Profils wählen", dann handelt es sich dabei um deine Meinung, nicht um wissenschaftlich fundierte Forschungsergebnisse. Du begehst in deiner These übrigens einen fatalen Fehlschluss. Selbst wenn alle rechtsextremen Bürger die AFD wählen sollten, heißt das nicht, dass alle AFD-Wähler rechtsextrem sind. Du blendest völlig aus, dass es auch andere Motivationen geben kann die AFD zu wählen, neben einer rechtsextremen Gesinnung. Mal abgesehen davon, dass Motivation selten ein eindimensionales Phänomen darstellt.
Für jemanden, der so viel auf seine wissenschaftliche Expertise zu geben scheint, hast du hier in drei Sätzen reichlich ungenau argumentiert. Und mir würde noch mehr einfallen. Aber jetzt, wo wir das hinter uns haben...
Stebbard schrieb:
Wenn du die Wurzeln der Probleme im Osten verstehen willst: Geh hin, sprich mit den Leuten, die sich seit Jahren mit der Szene befassen - sie werden dir überwiegend ähnliches sagen, nämlich, dass Rechtsextremismus und antidemokratische Einstellungen dort stärker verbreitet sind, weil man über Jahrzehnte hinweg mit ihnen zusammengelebt und keine Gegenwehr gezeigt hat. Man spielte mit ihnen Fußball, man ging mit ihnen spazieren, man nahm sie ernst, man diskutierte und lebte mit ihnen. Deswegen läuft dieses "mit rechten Reden" auch so ins Leere, weil es eine der Ursachen einfach weiterführt.
Willst du an die Wurzeln, dann musst du an die rechtsextremen Netzwerke, die sich gerade im Osten ohne große Probleme über Sport- und Schützenvereine, Konzerte oder Jugendclubs verfestigen konnten. Bei diesen Gruppen bist du bei bestens in der Gesellschaft integrierten Rechtsextremen und diese als Nazis zu bezeichnen ist kein Todschlagargument, es ist einfach die klare Benennung der Dinge - alles andere ist eine Verharmlosung extremer Gruppierungen. Versuch mal mit denen zu diskutieren, da kommst du nicht weit. Das klappt vielleicht bei Menschen, die sich mit diesen Leuten umgeben und bei denen es sich um Kollaborateure und Unterstützer handelt. Aber auch das sind keine hinters Ohr geführten, die wissen ganz genau, mit wem sie verkehren, die aber Angst vor Repressionen haben. Und die müssen ihnen gesellschaftlich drohen.
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Sprichst du da aus eigener Erfahrung? Es ist immer leicht auf "diejenige, welche" zu verweisen, um seine Argumente zu untermauern. Besser werden sie dadurch nicht. Jemand, der mir erzählt es gibt im Osten Nazis, weil es die schon immer gab und weil niemand etwas dagegen unternimmt, den würde ich sowieso nicht ernst nehmen. Was ist das bitte für ein Argument? Die Nazis sind doch nicht irgendwann aus einem Ei geschlüpft und haben angefangen alle mit der Naziseuche anzustecken? Dafür gibt es sozio-ökonomische und kulturelle Ursachen.
Den jahrzehntelangen Kampf gegen Rechts als "keine Gegenwehr" zu bezeichnen ist auch fragwürdig. Aber warum nicht diejenigen diskreditieren, die sich seit Ewigkeiten und unter größten Anstrengungen friedlich gegen Rechtsextremismus einsetzen, nur um meine Agenda voranzutreiben? Schon mal darüber nachgedacht, dass gerade diejenigen, die den Rechten mit Repressionen drohen, Benzin ins Feuer kippen? Ich meine Repressionen meint laut Wörterbuch: "[gewaltsame] Unterdrückung von Kritik, Widerstand, politischen Bewegungen, individueller Entfaltung, individuellen Bedürfnissen". Ja, empfinde ich als eine sehr demokratische Vorgehensweise gegen Andersdenkende.
Wie würdest du die Aussage bewerten: "Unruhestifter sollten deutlich zu spüren bekommen, dass sie in der Gesellschaft unerwünscht sind"? Wenn du zustimmst, bist du auf der Autoritarismus-Skala der Mitte-Studie ganz weit vorne dabei.
Ich habe übrigens kein Problem damit etwas, das eindeutig bestimmt werden kann, auch eindeutig zu benennen. Wer seine Kumpels mit dem Hitlergruß begrüßt ist ein Nazi. Jemand, der auf rechte Demos geht und "Wir sind die Fans - Adolf Hitler Hooligans" singt, der ist auch ein Nazi. Jemand, von dem ich nur weiß, dass er die AFD wählt, ist mir vielleicht persönlich suspekt. Ich würde ihn aber nicht pauschal als Nazi bezeichnen. Aber es wäre ja so schön, wenn das Leben immer nur aus schwarz und weiß bestehen würde.
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Ich habe aus reiner Neugier gefragt, weil mich das wirklich interessiert und ich mit der Aussage "ich habe dazu geforscht" an sich wenig anfangen kann - gerade, wenn du offenbar noch Studierender bist. Hast du dazu Mal ein Seminar besucht und eine Hausarbeit dazu geschrieben, eine Qualifikationsarbeit oder als SHK/WHK in einem Forschungsprojekt oder -verbund? Auch bei letzterem machen viele Studierende tolle Arbeit (ich lerne auch vieles von ihnen) und alles ist für sich vollkommen legitim, aber lediglich zu sagen, dass man "dazu geforscht" habe, ist wenig ertragreich und dient eigentlich nur dazu, sich selber Autorität zu verschaffen. Was soll man mit so einer Aussage anfangen?
Ich möchte übrigens darauf hinweisen, dass ich weder meine Promotion noch "meine wissenschaftliche Expertise" ins Feld geführt habe, da erstere in einem ganz anderen Fachbereich abgelegt wurde und im Bereich des Politikwissenschaft bzw. des Rechtsextremismus wenig bedeutet. Ich habe hier schlichtweg keine spezifische Expertise, auf die ich mich berufen kann und auch nicht möchte. Von daher würde ich mich da auch nie auf den Schlips getreten fühlen, da ich bei dem Thema wohl maximal auf derselben Stufe wie bin. Wenn du mir dies nun vorwirfst, das also "Statusreiterei" oder "Profilneurose" sei, dann ist es also ein an dieser Stelle wenig begründetes gegen die Person gerichtetes Argument, und das wollen wir doch nicht, oder? (fwiw: ich trage meinen akadem. Grad im übrigen abseits offizieller fachlicher Kontexte nicht, bzw. werde es nicht tun).
Dass du die Studie weit genauer gelesen hast, das gebe ich dir zweifelsfrei zu. Das hast du (offenbar) wirklich getan und da würde ich dir nun auch an keiner Stelle widersprechen wollen - fair enough. Aber dennoch möchte ich was zum zweiten sagen, unabhängig davon, dass man in Dresden, Halle oder Leipzig nicht großartig um die persönlichen Erfahrungen drumherum kommt: Auf welcher Grundlage hast du denn deine Forschungen betrieben? Auf selbst erhobenen Daten aus Freital, Bautzen oder Torgau? Du arbeitest am Ende mit Datensätzen anderer und verweist auf "diejenigen, welche" dazu geforscht haben. Das ist gängige und vollkommen übliche wiss. Praxis, sofern man sich nicht in irgendwelchen anarchowissenschaftlichen (und imho wirklichkeitsfremden) Kreisen zurechnet. Der Verweis auf szenekundigen Experten macht ein Argument im übrigen durchaus besser als eigene Studien, wenn diese ohne Szene- und Fachkenntnis durchgeführt wurden (grundsätzlich gesprochen). Und niemand sagt, dass es im "Osten" schon immer Nazis gab und daher immer welche geben wird" - es ist aber eines der Kernprobleme, dass hier seit vielen Jahrzehnten Jugendliche in einem Umfeld (den von dir angesprochenen soziokulturellen Hintergründen) sozialisiert werden, in dem Rechtsextremismus toleriert wurde und nach wie vor wird. Natürlich gab es hier schon immer antifaschistische Reaktionen, aber in einen Umfeld in dem man ganz normal mit Rechtsextremen umgeht, versandet dieser ziemlich schnell, weil dies kräftezehrend ist und einfach die Ressourcen fehlen. Von daher diskreditiere ich nicht diejenigen, die schon seit Jahrzehnten dagegen kämpfen - ganz im Gegenteil vertraue ich auf deren (stimmigen) Szenekenntnis und verweise gerne auf "diejenigen, welche". Was du ja offenbar, so werte ich zumindest deine Reaktion auf meinen Verweis, für einen "akademischen" Offenbarungseid zu halten scheinst.
Gegen Ende wirfst du meiner Ansicht nach wieder alles in einen Topf, die "Wähler", die Kollaborateure und die offen Rechtsextremen. Zunächst einmal schrieb ich ganz offen, dass ich nicht jeden Wähler der AfD für einen Nazi halte, aber sie allesamt für Menschen halte, die zumindest einen Umgang mit Nazis nicht scheuen, da jeder genau weiß, welche Partei er erwählt. Das lässt sich gerade in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen nicht glaubwürdig verneinen lassen, mit solch prominenten Figuren wie Poggenburg, Meier oder Höcke - sowie den ganzen Menschen aus der Szene, die zwar öffentlich nicht zur AfD gehören, aber eng mit denen verwurzelt sind. Aber gegen die richtet sich die Kritik nicht und (ich vermute mal) auch nicht die von die getätigte Aussage, von daher stellt sich die Frage, was du (oder derjenige, der die Aussage tätigte) mit Unruhestiftern und Andersdenkenden meinst? Sind es die kleinbürgerlichen Wähler aus Görlitz oder Wittenberg oder die alten Herren aus Dresden, die ansonsten nicht weiter auffallen, vielleicht Menschen, die sich offen bei Pegida oder 'Trauerveranstaltungen' wie Köthen, Plauen oder Chemnitz einfinden, und da offen Menschen wie Jenny Rodrian/Sommerfeld, Lutz Bachman, Götz Kubitschek, David Köckert oder Tommy Frenck zujubeln, oder sind es diese zentralen Figuren des rechtsextremen Milieus selbst, mit ihren fest verankerten Netzwerken in Sport, Musik, Kultur und Kommunalpolitik. Ich würde sagen: wir sind da gar nicht soweit voneinander, abgesehen davon, dass es für vollkommen absurd halte, die letzteren beiden Gruppen als "Unruhestifter" und "Andersdenkende" zu bezeichnen - das sind sie nämlich auf nicht, es sind Rechtsextreme und deren Unterstützer, die sich außerhalb der gesellschaftlichen Grenzen und sich dahier nicht auf ein (ohnehin nicht bestehendes) absolutes und uneingeschränktes Recht auf Meinungsfreiheit berufen. Wenn du also gerne davon sprichst, dass alle anderen nur in Schwarz- und Weißtönen denken würden, würde ich von dir ein wenig mehr
Klarheit jenseits von begrifflichen Grautönen erwarten. Aber zur Sache zurück: Man wird mit der ersten Gruppen reden können (und müssen, mache ich im übrigen ebenso wie viele andere auch im Rahmen des mir möglichen) und man sollte (sicherlich allen) die Chance zur Kurskorrektur und Reintegration geben, aber generell gilt, dass Menschen der Gruppe zwei und drei( bzw. eher deren Weltbilder) keinen Platz in der Gesellschaft haben und man ihnen das auch zeigen muss. Wenn du die Aussage also dahingehend anpasst, dass "Rechtsextremen und deren Unterstützer (...) deutlich zu spüren bekommen [sollten], dass sie in der Gesellschaft unerwünscht sind", dann bekommst du von mir ein unbedingtes: Ja. Was wäre auch die Alternative? Ihnen zu zeigen, dass sie zwar ganz böse Rechte seien, aber als solche auch Teil unserer Lebenswelt? Dann bist du zwar leicht kritischer als die sächsische CDU, aber am Ende doch so ziemlich auf der bisherigen Linie. Und die war eigentlich nicht wirklich erfolgreich, oder?
Man kann nun an seiner bajuwarischen Hochschule den eigenen Idealismus frönen, ich bin da eher bei den Leuten, die hier aufgewachsen sind: Dreh- und Angelpunkt im Kampf gegen rechtsextreme Tendenzen ist der offene und aktiv ausgetragene Widerspruch und die Zerschlagung zentraler Strukturen. Ich bin äußerst skeptisch, ob es anders funktionieren wird.
und zuletzt:
"Sinti und Roma neigen zur Kriminalität hältst du für keine fremdenfeindlich-rassistisch motivierte Aussage? Das ist einer der stereotypischen Fallbeispiele für rassistischen Antiromaismus, der kulturhistorisch dazu diente, Roma und Sinti als "niedere" und "weniger intelligente" Menschen zu kennzeichnen und somit weder als zur Gesellschaft gehörig noch integrierbar zu markieren.. Lebt heute übrigens auch noch weiter in vielen Ortschroniken fort (da spreche ich auch aus beruflicher Erfahrung). Würdest du etwa die Aussage "Juden sind geldgierig und hätten zuviel Macht" etwa auch nicht als antisemitisch/rechtsextrem ansehen? Selber Tenor, andere Zielgruppe.
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Ich verstehe deine Frage zu meiner wissenschaftlichen Expertise, habe sie aber aufgrund der Formulierung als herabsetzend empfunden. Tatsächlich habe ich bereits meinen Master abgeschlossen und werde aller Voraussicht nach in den nächsten Monaten selbst mit einer Promotion beginnen. Die Forschung zur AFD habe ich während eines Studienprojektes zusammen mit Kommilitonen durchgeführt. Es handelte sich dabei um eine Art der Querschnittsanalyse mehrerer quantitativer Studien zur Wählerschaft der AFD. Desweiteren stehe ich auch im regen Austausch mit einigen Doktoranden, die derzeit zu diesem Thema forschen.
Meine Antwort sollte keinen persönlichen Angriff darstellen, nur einen kleinen Seitenhieb. Falls ich über die Strenge geschlagen habe, möchte ich mich hiermit entschuldigen.
Um zum Thema zurückzukommen. Ich möchte hier keine Diskussion um quantitative vs. qualitative Herangehensweisen führen. Geht man davon aus, dass deine Experten und meine Daten beide wissenschaftlich betrachtet legitime Quellen sind, dann stützen sie unsere jeweiligen Argumente wahrscheinlich gleichermaßen. Ich hatte nur Zweifel daran, ob deine szenekundigen Experten wirklich als solche gelten können. Aber ich gebe dir hier gerne einen Vertrauensbonus.
Ich kann verstehen woher die Frustration derer kommt. die das Gefühl haben im täglichen Kampf gegen Rechts Sisiphos-Arbeit zu verrichten. Selbst wenn Studien zeigen, dass der Anteil rechtsextremer in Deutschland tendenziell eher sinkt, so steigt doch gleichzeitig das Gewaltpotential derer, die schon im rechten Milieu verloren sind. Die Anzahl rechtsextrem motivierter Straftaten steigt seit vielen Jahren stetig an. Das kommt aber nicht daher, dass Rechtsextremismus gesellschaftlich toleriert wird. Wenn ich von Gegenmaßnahmen spreche, meine ich nicht nur antifaschistische Reaktionen. Ich meine auch Programme von Bund, Ländern und Non-Profits. Staatliche Ausgaben in dem Bereich haben sich in den letzten Jahren bspw. verdoppelt, auch wenn immer noch Ressourcen fehlen. es werden doch stetig mehr. Ich stimme dir zu, dass es sicherlich Orte gibt, an die solche Programme nicht reichen. Aber normalerweise sollte jeder, der eine Schule besucht, einen Fernseher oder ein Radio besitzt merken, dass Rechtsextremismus in Deutschland generell nicht willkommen ist.
Was die Einschätzung von AFD-Wählern angeht muss ich dir leider widersprechen. Ich glaube nicht, dass es sich hierbei notwendigerweise um Menschen handelt, die "zumindest einen Umgang mit Nazis nicht scheuen, da jeder weiß, was für eine Partei er wählt". Das impliziert nämlich, dass ein AFD-Wähler deine Einschätzung teilt, dass die AFD rechtsextrem ist. Das ist aber mit Sicherheit nicht der Fall und das kann es auch gar nicht. Denn dafür müssten sie deine Werte und Ansichten teilen. Sie müssten sich zunächst einmal so sehr für Politik interessieren, dass sie die Zitate führender AFD-Figuren überhaupt mitbekommen. Dann müssten sie der Quelle, aus der sie das haben (Zeitung, Fernsehen, etc.), erst einmal glauben. Und dann, das ist der entscheidende Punkt, müssten sie diese Aussagen genauso einschätzen wie du. Ich glaube aber viele AFD-Wähler halten die AFD gar nicht für rechtsextrem oder fremdenfeindlich. Oder sie machen sich über so etwas gar keine Gedanken. Da liegt meiner Meinung nach ein gewaltiger Unterschied.
Der letzte Punkt ist nun ein schwieriger. Hier geht es letztlich um die Frage von Definitionen. Was verstehe ich unter "rechtsextrem"? Welche Vorstellung von Demokratie habe ich? Ab wann halte ich ein Verhalten für demokratiefeindlich? Ich denke du weißt selbst, dass man hier Ewigkeiten miteinander philosophieren könnte. Ich persönlich habe mich während des Studiums bspw. mit Ranciere, Rosanvallon, den Poststrukturalisten oder Habermas auseinandergesetzt. Für mich zeichnet sich Demokratie durch einen Widerstreit von Interessen und Wertvorstellungen auf einer gemeinsamen Basis aus. Das heißt, dass voneinander abweichende Meinungen durchaus wünschenswert sind, solange sie in einem gemeinsam gesetzten und anerkannten Rahmen bleiben. Jemand, der glaubt "Sinti und Roma neigen zur Kriminalität", unterliegt hier sicherlich Vorurteilen. (Übrigens finde ich die Frage äußerst fragwürdig formuliert. "Neigen zur Kriminalität"? Ein Akademiker versteht hier vielleicht, dass "Neigung" eine biologistische Komponente impliziert, für den Durchschnittsbürger lautet die Frage einfach nur, "glaubst du Sinti und Roma sind oft kriminell?" Hier wird letztlich nur ein Vorurteil nachgewiesen, kein Rassismus.) Hier wird aber meiner Meinung nach kein Rahmen überschritten. Vielmehr ergibt sich doch gerade hier ein Angriffspunkt für Diskussion und das Ausräumen von Vorbehalten.
Es gibt mindestens zwei Probleme in diesem Zusammenhang. Einmal: Wie genau sieht dieser gemeinsame Rahmen aus? Sind es nur unsere Gesetze? Oder gibt es noch ungeschrieben Gesetze? Zweitens: Kann man anhand von Meinungen und Worten ein Überschreiten des Rahmens festmachen und wenn ja, wie ist so etwas zu sanktionieren? Bei begangenen Straftaten ist es recht offensichtlich. Aber beim verteilen von Flyern? Dem Organisieren von Gesprächsrunden im Jugendzentrum? Bei Xenophobie? Wie gesagt, es ist ein schwieriges Thema.
Für mich persönlich gibt es eine Grenze. Und ich weiß, dass die höher liegt, als bei vielen anderen. Ich bin dahingehend vielleicht naiv, aber ich glaube, dass alle, die diese Grenze noch nicht überschritten haben, sogar etwas Konstruktives für die Demokratie leisten. Nur durch sie diskutieren wir darüber, welche Werte uns wichtig sind. Sie sorgen dafür, dass wir uns selbst immer wieder vor Augen führen, weshalb wir Rechtsextremismus nicht tolerieren wollen. Zugegeben, es bestünde rein theoretisch die Gefahr, dass der Anteil der Rechten so groß wird, dass sich der gesellschaftliche und folglich auch irgendwann der gesetzliche Rahmen verschiebt. Aber das Auffangnetz ist hier immer das Grundgesetz, nicht?