02.09.2007 17:55
Die Welt ist schlecht und furchtbar ungerecht. Die Gesellschaft auch. Am schlimmsten jedoch sind Eltern. Weil sie nerven. Dabei haben sie keinen blassen Schimmer davon, was in Kindern und Jugendlichen vorgeht, wie sie sich fühlen, was sie empfinden, worüber sie reden oder lieber schweigen wollen und wie das Leben als Jugendlicher heutzutage überhaupt aussieht. Trotzdem mischen sich Eltern immer ein. Das nervt. Gegen die Übel dieser Welt hilft da nur eines: depressiv sein, jammern, heulen und sich mit Rasierklingen in die Arme ritzen, bis das Blut fließt. Innerer Schmerz muss nach außen getragen werden. Das glauben Sie nicht? Dann fragen Sie mal bei Jugendlichen nach. Es gibt eine Szene, die das als ihre Lebenseinstellung deklarieren. So wie andere aus Liebe zum Fußball allsamstäglich ins Stadion gehen, sitzen sie grüppchenweise stundenlang deprimiert auf Parkbänken und bedauern sich selbst. Das tun sie in aller Öffentlichkeit, auf Plätzen und in Fußgängerzonen. Jeder darf ihren Weltschmerz sehen.
Ein Trend, der langsam kam, schnell viele Anhänger fand - aber auch schnell wieder vorbei sein kann. Sie nennen sich Emos, die Emotionalen, sind manchmal gerade 10 Jahre alt, selten über 20, und der ganz harte Kern von ihnen behauptet, das Depri-Gen sei ihnen schon in die Wiege gelegt worden. Emos tragen bevorzugt schwarze Klamotten, zum Beispiel Röhrenjeans (eng und am Po dennoch hängend), Pullis mit Schachbrettmuster, gestreifte, gepunktete oder geherzte T-Shirts, karierte Schnürschuhe, Nietengürtel und dicke Schnallen. Als Symbole gelten Kirschen, Würfel, Spielkarten und die Billardkugel mit der Nummer 8. Die dunklen Haare sind streng zum Seitenscheitel gekämmt, an den Klamotten pinnen Anstecker von Bands, am besten von welchen, die andere Jugendliche noch nie gehört haben. individualität ist wichtig. In den Ohren stecken 2 kleine Knöpfchen, aus denen melancholische, herzzerreißende Musik klingt. Ohne Mp3-Player oder IPod gehen Jugendliche sowieso nicht mehr aus dem Haus. Sie versinken damit in sich selbst, hören nur, was sie hören wollen.
Emos, vor allem Emo-Mädchen, sehen süß und niedlich aus - wollen aber genau das nicht sein. Durch schwarze Brillen schauen sie traurig aus ihren dunkel umrandeten Augen. Und plötzlich, für Außenstehende völlig unerhofft, brechen sie fürchterlich in Tränen aus. Auf einmal, so sagen sie, überkomme sie beim Musikhören und dem In-Gedanken-Verloren-Sein die Traurigkeit, das Gefühl, dass sie niemand liebt, niemand versteht, niemand ihre Sorgen teilt. Sie verstehen dann das Leben eher als Ruine denn als Chance. Sofort ist ein anderer zur Stelle, nimmt den oder die Heulende in den Arm, pflichtet bei - und weint einfach mit. Das soll helfen wie bei anderen ein Lutschbonbon gegen Halsweh. Ein paar Minuten später ist dann zunächst alles wieder in Ordnung. Bis zum nächsten Anfall. Problemlos können sie so den halben Sonntag (oder auch den ganzen) verbringen, und im Kreis der Gleichgesinnten die Tristesse des Alltags beklagen.
Jugendszeneforscher erklären es so: Dauer-Lebenskrisen zu schildern sei in dieser Kultur schick - hauptsächlich um Aufmerksamkeit und Mitleid zu erregen.
Emos sind ein aktuelles Phänomen in der Jugendkultur. Tausende fühlen sich ihr zugehörig. Dabei ist die Szene nicht neu - nur anders als vorher, eine Weiterentwicklung. Emos 2007 sind meilenweit von der Emo-Kultur der 80er und 90er Jahre entfernt. Diese stammt aus den USA und hat ihren Ursprung in der Hardcore-Musikszene. Durch sanftere Töne und vereinzelten Abgrenzungswillen entstand daraus der Zweig Emotional Hardcore, kurz Emocore. Die Anhänger damals, meist 20- bis 30-jährige, rückten die Musik, Texte und die damit verbundene Kritik an den Lebensumständen in den Mittelpunkt.
Aus den einstigen Außenseitern, aus denen Jugendszenen immer entstehen, wurde nun eine große Gruppe, eine breite Masse innerhalb der Gesellschaft. Unter Gleichgesinnten und Gleichaltrigen entwickeln sich solche lockeren Gruppierungen leicht. ,,Jeder kann jederzeit ein- und wieder aussteigen, ohne dass das nennenswerte Konsequenzen hätte'', sagt Daniela Eichholz, Soziologin an der Uni Dortmund. Sie befasst sich mit der Jugendszeneforschung, will aber bei Emos schon fast von einer ,,Kinderszene'' sprechen, da die Jüngsten gerade 10 Jahre alt sind - und felsenfest verkünden, sie seien Emo. Sie machen mit, weil es cool ist, anders als gewöhnlich zu sein.
Doch innerhalb der Gruppierung gibt es starke Differenzen. Währen sich die einen vor allem über die Musik definieren und den derzeitigen Mainstrea-Kult kritisieren, ist ein Großteil erst dadurch in die Szene gerutscht. In Internetforen werden deshalb die einen sowie die anderen beleidigt oder als ,,nicht echte Emos'' angesehen. Schlimmstes Schimpfwort dabei: ,,Du Tokio-Hotel-Fan!'' Doch genau mit der Begeisterung und Vermarktung der jungen Band kam die erfolgreiche nationale Verbreitung. Unterstützt von den Wirtschaftsinteressen der Modeketten wie H & M (denn wichtig: keine Markenklamotten), bei denen der Emo-Style mit schwarz-weiß-roten Ringelshirts zuhauf in den Regalen liegt, definiert sich ein Teil der Angehörigen überwiegend über die Kleidung und erst zweitrangig über die historischen, amerikanischen Wurzeln. Bei den Emo-Gründern noch undenkbar, ist das Outfit der neuen Generation zu einem Identifikationsmerkmal geworden. Mehr Schein als Sein trifft hier zu.
Den Ursprungsanhängern dagegen ,,ging es um Inszenierung, Individualität und Authentizität'', hat Eichholz erforscht. Zwar hätten die ,,alten'' Emos auch den Verfall der Welt beklagt, doch ihre Emotionen gingen gerade einmal so weit, dass Gefühle durch lautes Schreien zum Ausdruck gebracht wurden. Die ,,Neuen'' geben sich sanfter (zumindest was die Musik angeht), moderner, emotionaler, aber auch labiler. Sie reden nicht mehr nur über das, was sie bedrückt, sondern sie zeigen ihre Verletzbarkeit auf allen Ebenen, setzen dabei auf Mitleid, Aufmerksamkeit und permanente Selbstinszenierung.
Das funktioniert am besten mit ihrem demonstrativen Selbstzerstörungs-Wahn, zu dem das Ritzen gehört. Der Höhepunkt scheint erreicht, wenn sie bei Freunden und Bekannten Suizidgedanken ankündigen. ,,Sie wollen schockieren. Und weil Schockieren heutzutage nicht mehr so einfach ist, haben sie sich eben neue Methoden gesucht'', begründet Eichholz. Sie versucht in ihren Untersuchungen, die Wahrnehmung der szenezugehörigen Jugendlichen zu rekonstruieren. Und dennoch glaubt sie, dass so ein Trend manchmal schneller vorbei ist, als er sich über einige Monate hinweg entwickelt hat. Vielleicht spätestens dann, wenn Eltern nicht mehr nerven.
Den Bericht hab ich glatt aus der Zeitung abgeschrieben.
Viel Spaß beim Lesen