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Deichkind in Hannover – Krawall und Remmidemmi bei Sommerwetter

Cynthia TheisingerCynthia Theisinger, 26.08.2023

Cynthia Theisinger

Cynthia Theisinger
26.08.2023

Das Konzert von Deichkind auf dem Expo Plaza in Hannover wirkt beinahe wie eine choreografierte Inszenierung. Während das KIZ-Konzert in Essen aufgrund des Wetters bedauerlicherweise abgesagt werden musste, verstummten die Regentropfen in Hannover just zur Eröffnung des Geländes und kehrten vorerst nicht zurück. Ideale Voraussetzungen für eine ausgelassene Nacht voller Feierlaune, bei der eine Vorband nahezu überflüssig erscheint. Exakt um 21 Uhr erklingt das Intro, begleitet von den Musikern, die sich hinter einem schneeweißen Vorhang positioniert haben und von hinten in wechselnden Farben angestrahlt werden. Entgegen aller Erwartungen bleibt der Vorhang nach dem unmittelbar folgenden "99 Bierkanister" nicht einfach fallen, sondern gleitet elegant zur Seite und enthüllt damit die mitreißende Bühne. Die markante Textzeile "Achtung alle Hände hoch" gibt den Rhythmus für den Abend vor, wie ein pulsierender Herzschlag. "Ihr habt ja richtig schönes Wetter mitgebracht", begrüßt uns Kryptik Joe mit einem verschmitzten Lächeln. Anfänglich gibt es zwar nicht viel zu sehen, während Deichkind vorne steht und ihre Performance abliefert – die ikonischen Dreiecke bewegen sich rhythmisch auf und ab. Gelegentlich bevölkern Personen die erhöhten Podeste, doch zu Beginn herrscht eine gewisse Ruhe.

Mit dem vierten Song wendet sich das Blatt. Für einen Moment steht die Bühne leer, dann kehrt Kryptik Joe auf einem Handtaschen-Steckenpferd zurück – ein passender Einfall zum Song „Auch im Bentley wird geweint“. Von diesem Zeitpunkt an ist es ratsam, den Blick nicht mehr von der Bühne abzuwenden, denn jeder Song wird auf einzigartige Weise untermalt und inszeniert. Während „Porzellan und Elefanten“ von doppelten Regenschirmen begleitet wird, finden sich zu „In der Natur“ Personen in Schutzanzügen auf der Bühne ein. „Wutboy“ explodiert förmlich in Konfetti-Explosionen, und am Bühnenrand schaukelt eine Hängematte im Takt von „Kids in meinem Alter“.

Diese kreative Inszenierung setzt sich fort, während Deichkind die Menge in ihren Bann zieht. Die Bühne verwandelt sich in einen sich ständig verändernden visuellen Rausch, der die Musik ergänzt und verstärkt. Die Energie steigt, die Stimmung erreicht ihren Höhepunkt, und das Publikum verschmilzt förmlich mit der Show. Es wird klar, dass dieses Konzert nicht nur eine Aneinanderreihung von Liedern ist, sondern eine immersive Erfahrung, die alle Sinne anspricht und die Menschen in eine Welt voller Kreativität und Begeisterung entführt.

Bei allem wird es aber immer wieder Politisch, wenn auch oft nur beim zweiten Blick. Während die Bürostühle bei “Bück dich Hoch” mit den Buchstaben auf der Rückseite abwechselnd “Fuck” und “PTN” darstellen, sind die Worte vor “Die Welt ist fertig” eindeutiger. “Ihr habt bestimmt heute alles dieses Knast-Foto gesehen, das ist das Ende, geh nach Hause Opa”, sagt Kryptic Joe und spricht sich weiter für die neue Generation aus.

Auf der Bühne passiert viel, im Publikum jedoch auch. So wird gepogt, mitgesungen, das eigene mitgebrachte Konfetti geworfen oder einfach nur passend der Kopf bewegt. Jeder kommt auf seine Kosten und hat sichtlich Spaß, wie es ihm gefällt. Vor “Lecko Mio” werden auch nochmal die Gesangskünste geprobt, indem eine Melodie immer wieder einen halben Ton höher gesungen wird.

Zurück auf der Bühne gibt es zu “Richtig gutes Zeug” den passenden Rucksack, aus dem es raucht. „Da hab’ ich die neuesten Merch-Produkte drin“, sagt uns Kryptic Joe. Danach ist die Bühne kurz voll mit einer “Bude voll People”, bevor sie vollständig leer ist. Denn du “Roll das Fass rein” wird dies wortwörtlich getan. Oder zumindest auf einem Podest geschoben. Über dieser wird eine große “Kein Bier für Nazis”-Flagge geschwenkt und gibt wieder eine unterschwellige politische Botschaft. Als das Fass zurück zur Bühne kommt und dort befestigt wird.

Nicht aus diesem Fass, aber aus einem wird anschließend bei “Hört ihr die Signale” Bier aus einem Schlauch an die ersten Reihen verteilt, während das große Fass Empor steigt und von dort ein kurzes Snippet von “the Power of Love” gesungen wird. Wer nun einen Blick auf die Uhr warf, stellte erstaunt fest, dass inzwischen fast 2 Stunden vergangen waren, die sich definitiv nicht so anfühlen. So stand mit “Limit” der letzte Song auf dem Plan, zu welchem nochmal Konfetti gezündet wurde.

Eine Zugabe darf aber natürlich nicht fehlen. Wie sollte es auch anders sein, ist der letzte Song “Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)”. Dazu kommt direkt ein Boot zum Crowdsurfen, welches den Inhalt einiger Federkissen verteilt, während auf der Bühne das Chaos ausbricht. „Leider Geil”- Ballons, ein großes Kothaufen-Emoji, eine Hüpfburg, gefühlt alle Outfits, die wir an dem Abend gesehen haben und viele, die wir nicht gesehen haben. Es wirkt als wenn einfach alles benutzt wurde, was gerade in Reichweite war und sorgte so für den perfekten Abschluss des Abends, bei dem es erst wieder regnen sollte, nachdem alle den Platz wieder verlassen hatten.

Cynthia Theisinger Cynthia Theisinger Hannover

Im Sauerland aufgewachsen, in Münster Architektur studiert und dann zog es Cynthia in die niedersächsische Landeshauptstadt. Die Überlebenskünstlerin ist seither Hannoveranerin mit Leib + Seele und hat aus ihrer Vorliebe zu EBM/Industrial und der Fotografie eine echte Passion gemacht.