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Unsere Highlights: Rock am Ring 2022 Samstag

Dominik FiolkaDominik Fiolka, 04.06.2022

Dominik Fiolka

Dominik Fiolka
04.06.2022

Der Freitag hat am Nürburgring schonmal ordentlich gesessen und jede Menge Highlights präsentiert. Bis nachts um 3:00 Uhr haben sich viele der Besucher zur nächtlichen Feierei vor den Bühnen getummelt, kein Wunder, Scooter haben die Nacht zum Tag gemacht und alles abgefeuert, was sie in ihrer Bandgeschichte finden konnten – und natürlich jede Menge Pyro. So herrscht am frühen Samstagmittag, dem zweiten Festivaltag, noch eine entspannte Ruhe auf dem Festivalgelände und sogar auf den Campingplätzen (wenn da da nicht die Ghettoblaster hier und da wären, aus denen hier und da Musik dröhnt).

Die Wellenbrecher füllen sich gemächlich. Zu sehen gibt es am Abend jedenfalls gleich zwei große Headliner – Placebo und Muse. Natürlich stehen auch heute weitere beeindruckende Acts auf dem Programm bei Rock am Ring 2022 Samstag, darunter Sportfreunde Stiller, Alligatoah, Ince Nine Kills, Deftones, Fever 333 und viele viele weitere. Als besonderes Schmankerl gibt es für die Nachteulen bis in die frühen Morgenstunden noch Programm von Casper. Auch dieses Mal hält sich das Wetter, entgegen aller vorherigen Voraussagen – vorrangig brennt die Sonne auf Zuschauer und Gelände, heute ist dann doch die Sonnencreme das Wichtigste und nicht der Poncho.

Kodaline

Das irische Quartett Kodaline sieht in ihrer Musik zugleich auch eine Therapie. Zur Bandbegründung halfen sich damals Sänger Steve Garrigan und Gitarrist Mark Prendergast über die Trennung der jeweiligen Partnerinnen hinweg. Emotionen in Songs über Liebe und Verlust wurden geboren. Mit Bassist Jason Boland und Schlagzeuger Vinny May ist es nun ein herrlich vielschichtiger Sound aus breiten Gitarrensounds, aufsteigenden Refrains und der charakteristisch hohen Stimme von Frontmann Steven. Endlich kann die Band ihre Songs vom Album aus Pandemie-Zeiten „One Day at a Time“ auch mal live spielen. So und mit vielen Songs der vorherigen vier Alben, erschaffen Kodaline am frühen Nachmittag auf der Utopia Stage einen unwiderstehlichen Sog, der die Festivalbesucher regelrecht in ihren Bann hineinzieht.

Ego Kill Talent

São Paulo in Brasilien. 2014 gründet sich diese fünfköpfige Band mit dem Namen Ego Kill Talent aus der Redewendung „Too Much Ego Will Kill Your Talent“ heraus. Auf der Rock am Ring-Bühne steht das Quintett am frühen Nachmittag, dabei sind Jonathan Dörr [Vocals], Jean Dolabella [Drums, Gitarre], Raphael Miranda [Drums, Bass], Niper Boaventura [Gitarre, Bass] und Theo Van Der Loo [Bass, Gitarre]. Bekannt und berüchtigt ist die Band wegen ihrer spektakulären Liveshows, bei denen vier der fünf Bandmember während des Spielens untereinander die Instrumente tauschen. Natürlich kommt das beim Publikum großartig an, unter anfeuerndem Klatschen und Gröhlen geben Ego Kill Talent alles und noch mehr. Hier herrscht die Authentizität harter Klänge mit einer ordentlichen Portion Pop-Appeal, ausgewählten Einflüssen aus ihrer südamerikanischen Heimat, solidem Songwriting-Handwerk und absoluter Beherrschung ihrer Instrumente.

Gang of Youth

Indie-Rock aus einer der größten Städte Australiens kommt von der Gang of Youth am nachmittag auf der Utopia Stage. Die Kombo aus Sydney kennt man bereits in der Welt durch ihre musikalischen Nummer-eins-Alben „Go Farther in Lightness“ aus dem Jahr 2017 sowie dem aktuellen „Angel in Realtime“ aus Februar diesen Jahres. Hier trifft hervorragendes Songwriting und Musikalität auf ganzer Linie zusammen und das können David Immanuel Menachem Sasagi Leʻaupepe (Leadsänger und Gitarrist) auch beim Rock am Ring-Publikum perfekt präsentieren. Wer jetzt schon auf dem Gelände ist und nicht in der Sonne chillt, ist in den ersten Wellenbrechern und lauscht dort den teils herzzerreißenden und doch zugleich fröhlichen Songs, Gang of Youth sind einfach immer berührend authentisch.

Baroness

Die Progressive Metal-Götter Baroness sind gekommen, um am Ring mit frischen Songs wieder die Rockgeschichte aufzumischen. Ihr aktuelles Album „Gold & Grey“ aus 2019 strotzt vor großen Riffs und Refrains, die seit jeher Baroness auszeichnen und vor allem live richtig gut ankommen. Vielschichtig und emotional mit einem Hang zum Hook, die Band ersteht es gekonnt, ihre intelligente harte Musik an den Mann zu bringen. John Baizley und seine Bandkollegen präsentieren ihre besten Momenten aus 19 Jahren Bandgeschichte mit Postpunk, Psychedelic, Hardcore und Indie. Eine Liveshow mit infernalischer Gitarrengewalt.

 

Sportfreunde Stiller

New York, Rio, Cuxhaven…? Auch wenn der Song anders geht, die beliebte Indie-Rock-Band aus Deutschlands Süden kommt gerne an den Nürburgring, zuletzt 2013. Das Trio Peter, Flo und Rüde ist schon seit 27 Jahren in der Musikwelt aktiv. Ihre Fans sind mit ihnen sozusagen gewachsen, jeder kennt ihre Songs und entsprechend voll ist das Infield vor der Utopia Stage. Ihre Melodien sind eingängig und die deutschen Texte umschreiben Gefühle und Situationen, mit denen sich einfach jeder identifizieren kann. Hier gibt es jeden Hit, den man aus den Radios des Landes und den Charts kennt. „Ich, Roque”, bei dem Drummer Flo auch mal das Mikro übernimmt; Unplugged-Ohrwurm „Ein Kompliment”; die Fußball-Hymne „54, 74, 90, 2006”, „7 Tage 7 Nächte” und viele weitere. „Applaus, Applaus” für die Sportis.

Mastodon

Progressive Metal hat ja oft den Nachteil, dass die Songstrukturen erst nach mehrmaligem Hören im Kopf hängen bleiben, was live bekanntlich schwer umsetzbar ist… Denn welche Band (außer der „Cantina Band“ aus Star Wars natürlich) spielt schon denselben Song einen ganzes Set lang durch. Mastodon auf der Mandora Stage bilden hier eine löbliche Ausnahme. Mit ihrem Album aus Coronazeiten „Hushed and Grim“ (2021) kann die Band live auch nochmal einen Drauflegen, aber auch ihre Songauswahl der letzten sieben Alben überzeugt. Ihr Set reißt die Zuschauer direkt mit und spricht alle Sinne an. Die Vielseitigkeit und Emotionen überzeugen sofort.

Ice Nine Kills

Aus Boston, Massachusetts kommt die US-Metalcore-Band Ince Nine Kills, kurz INK. Bei dieser Kombo bildet der Metalcore das musikalische Fundament, auf dem mit diversen anderen Stilen aufgebaut wird. Da finden sich sogar mal leichte Schlenker in Richtung Disco oder in den ganz harten Momenten Deathcore-Elemente. Zusammengehalten wird alles von eingängigen Refrains. Ice Nine Kills sind absolute Profis – an ihren Instrumenten und auch beim Songs schreiben, darum funktioniert ihre wilde Genre-Achterbahnfahrt einfach. Besonders live. Moshpits vor der Mandora Stage soweit das Auge reicht. Mit ihrem Werk „The Silver Scream“ (2018) und dem Folgealbum „The Silver Scream 2: Welcome toll Horrorwood“ aus 2021 haben die fünf Musiker je ein echtes Brett in die Plattenläden geschoben. Viele Songs dieser Alben können nun das erste Mal live vorgestellt werden und das Publikum gerät in ausgelassene Hysterie.

Alligatoah

Der beliebte Wortkünstler mit Spaßfaktor ist wieder am Ring. Nicht zum ersten Mal, 2019 hat er das Mal hier auf der Bühne gestanden. Aber das Ring-Publikum liebt ihn einfach. Alligatoah, mit bürgerlichem Namen Lukas Strobel, ist großer Fan verrückter Auftritte und Verkleidungen. Und natürlich seine Fähigkeit, Worte und Melodien in perfekte Ohrwürmer mit Guter-Laune-Faktor zu verwandeln. Der Deutschrapper, Sänger, DJ und Produzent schafft es auch dieses Mal wieder, dass seine Show einem unterhaltsamen Theaterstück gleicht, es ist keinesfalls langweilig. Dank vieler kurzweiliger Elemente und einem brillanten hin und her zwischen Alligaotah, seiner Band und Rapkollege Basti – erlebt man ein unvergessliches Konzert. Der Schnautzbartträger Alligatoah blödelt, rappt, singt Songs von seinen insgesamt fünf Studioalben, wobei das neuste Werk „Rotz & Wasser“ erst seit März diesen Jahres auf dem Markt ist und so zum ersten Mal live vorgestellt werden können. Und natürlich übt Alligatoah konsequent Kritik an der Gesellschaft – und das alles mit erstaunlich viel Niveau.

Fever 333

In 2017 hat sich die Rock-Supergroup aus Los Angeles gegründet. Das Dreier-Gespann um Frontmann Jason Butler (besser bekannt durch sein Mitwirken in der Post-Hardcore Band Letlive) strotzt nur so vor Energie. Das Trio knallt den willigen Zuschauern zur Prime Time auf der Mandora Stage knirschende Gitarren, gutturale Beats und unverfroren mutige Texte entgegen. Harte Riffs treffen hier auf massive Texte und eine unverkennbare Stimme! Direkt zum Kultstatus hat es die Band binnen kurzer Zeit geschafft – nur mit ihrer in 2018 veröffentlichten EP („Made An America“) und einigen durchgeknallten Liveshows. Ideologisch besetzt die Band eine Lücke, die seit Rage Against The Machine niemand wirklich schließen konnte – zumindest nicht auf einem Level, das Aggressivität dermaßen gekonnt mit Mainstream-Appeal vereint. Und so verwandelt sich das Infield binnen kurzer Zeit in ein tosendes Tollhaus, immer angestachelt von Jason Butler. Dieser mit Wut geladenen, politisch aufrührenden Rockband kann man sich nicht entziehen. Ihre revolutionäre Mischung aus Hip-Hop, Punk und Aktivismus ist absolut ansteckend.

Fehlt hier nicht etwas?

Aufgrund von Foto-Restriktionen durch den Veranstalter war es uns leider nicht möglich, die Band Placebo sowie Headliner Muse bei Rock am Ring 2022 am Samstag zu fotografieren.

Deftones

Die einstigen Nu Metal-Mitbegründer aus Sacramento/USA sind die vorletzte Band, die am Samstag die Mandora Stage für sich beansprucht. Die fünf Kalifornier lassen es von der ersten Sekunde an krachen. Frontmann Chino Moreno überzeugt mit seinem außergewöhnlichen Klangvolumen. Gitarrist Stephen Carpenter haut in seine gewaltige 8-Saiter-Gitarre und Bassist Sergio Vega bewegt sich ekstatisch über die Bühne. Ein Fest für jeden Liebhaber. Nicht nur Songs vom neuen Album „Ohms“ aus 2020 haben Deftones in ihrer verborgenen Zauberkiste der Wahnsinnigen, sondern auch echte Meilensteine wie „Change“, „My Own Summer“ oder „Be Quiet and Drive (Far Away)“. Gott sei dank spielen sie auch „Digital Bath“! Die Band ist nach diesem Auftritt völlig ausgebrannt und durch, aber die Fans gehen heute mit ruhigem Gewissen in ihre Zelte und sind ebenfalls komplett im Arsch.

Dominik Fiolka Dominik Fiolka Vechelde

Aus Berlin stammt Dominik. Mittlerweile in der Region 38 ansässig, jongliert er mit Zahlen und Worten gleichermaßen. So übernimmt er als einer der Köpfe hinter stagr regelmäßig die redaktionelle Berichterstattung.