Stiflers_Mom schrieb:
Ich bin total erschlagen vom Pre-Listening. Ein Rammstein-Album nach einmaligem Hören bewerten ist schier ein Ding der Unmöglichkeit, bei dieser Platte aus mehreren Gründen aber noch schwieriger. Das Dolby-Atmos war ziemlich stark, generell auch dieses bewusst-fokussierte erstmalige Hören eines Albums. Würde häufiger ins Kino für derartige Pre-Listenings gehen.
Jetzt zum Album, ich fasse mal einige meiner Eindrücke zusammen:
- Die Platte ist düsterer und schroffer als ihr Vorgänger, die poppigen, catchy Elemente aus der selftitled sind verschwunden.
- Einige der Songs wirken nicht ganz so eingängig, haben aber krasses Potenzial zu wachsen wie ich denke. Sie sind musikalisch komplex und nichts fürs schnelle, gedankenlose aufs erste Mal weghören gemacht. Ich fand es sehr belastend, nicht direkt Songs "nachhören" zu können. Auf jeden Fall ein Spannungsbogen, der da erzeugt wurde.
- Textlich gibt es mit "Dicke Titten" und "OK" zwei komplette Ausfälle, wo der für Rammstein typische doppelte Boden komplett ausbleibt und die halt einfach plump sind, obwohl musikalisch ansprechend
- Es gibt einen Song mit einem richtig krassen Breakdown, das kannte ich aus dem engen musikalischen Korsett Rammsteins noch nicht
- "Angst" ist mit dem Video zusammen ein Highlight. Es ist das zeitgenössische "Links 234", eine Abgrenzung von Querdenkern, Hetzern und Demagogen und eine Hymne gegen Volksverdummung im Netz
- die zweite Hälfte der Platte ist stärker, Adieu ein guter Closer und nicht das vermeintliche Rammstein-Adieu sondern geht mehr um den Tod
- Mit "Armee der Tristen" hat man einen schönen Opener, der auch live durchaus als solcher gut zünden könnte
- Ich verstehe was das Stilmittel Autotune in "Lügen" soll, aber beim ersten Hören hat mich der Song empört. Nicht im Positiven.
- Ein paar Songs sind nicht wirklich bei mir hängen geblieben, aber das hab ich bei Rammstein wirklich immer
- Am besten gefallen hat mir vom neuen Kram: Armee der Tristen, Schwarz, Angst, Adieu.
Ich freue mich auf viele weitere Durchläufe ab Mitternacht.
Zitat
Zum Thema "Lügen": Ich bin weit weg davon, AutoTune schönreden zu wollen, aber ich habe es direkt als einen Seitenhieb auf das, vor allem im Rap, verwendete Autotune, verstanden. Wenn ich mich richtig erinnere, singt er ja passend zum Einsetzen des Autotune auch direkt: "Ich lüge und betrüge, ich belüge sogar mich". Bis aufs verwendete Autotune finde ich den Song sogar sehr stark und würde ihn so interpretieren, dass alles Positive in der Liebe und die entsprechenden Handlungen eben nur eine Lüge sind. Menschen sich gern etwas vormachen, sich selbst belügen. Und letztlich doch betrügen.
Die Platte braucht sicher noch ein paar Durchläufe, schlägt aber jetzt schon das Streichholz um Welten. Ich mag den sich durchs komplette Album ziehenden düsteren Touch. Es ist alles sehr negativ und immer irgendwie auch sehr melancholisch traurig gehalten. Dazwischen 2 "lustige" Songs zum auflockern. Die Texte könnten echt in so einer Art Corona Depression entstanden sein.
Hängen geblieben sind direkt Armee der Tristen, auch sehr passend als Openener mit Zeilen wie "Komm, wir schließen unsre Reihen, marschier'n im Gleichschritt gegen Glück" oder "Gründen auf verblühten Rosen die Partei der Hoffnungslosen - werde Mitglied, trete ein". Als würde man den Hörer bereits auf das, was da auf der Platte kommt, vorbereiten.
Ohne Kondom und Dicke Titten sind schon plump und wohl vom letzten Lindemann Album übrig geblieben. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich bei Dicke Titten und dem dazugehörigen Blashorn echt kurz laut loslachen musste.
Highlight ist für mich bisher der Song Angst in Verbindung mit dem dazugehörigen Video - schauts euch heute ab 17:00 unbedingt an, ein Visuelles Meisterwerk. Schön, dass man sich die stärkste Auskopplung dieses Mal bis zum Schluss aufgehoben hat.
Und natürlich Meine Tränen. Aus der Sicht eines Kindes geschrieben, dass von der Mutter misshandelt wird. Wenn Till mit starkem Sound im Hintergrund singt "Viel Liebe schenkt mir Mutter nicht, doch schlägt sie immer noch in mein Gesicht. Und ab und zu hab' ich geweint, da hat sie lächelnd nur gemeint: Ein Mann weint nur, wenn seine Mutter stirbt" bisher jedes Mal gut Gänsehaut bekommen.
Das ist mir so nach den ersten 3 Durchläufen (1 davon im Kino) in Erinnerung geblieben. Das Album spiegelt offen gesagt all die negative Stimmung wieder, die auch ich während Corona hatte, so ohne Aussicht auf stattfindende Konzerte. Vielleicht holt es mich deswegen so ab. Vom Autotune abgesehen (auch wenn wie gesagt warsch. als Seitenhieb gemeint) könnte die Scheibe für mich mit Mutter zur stärksten Rammstein Platte werden. Und zeigt mir nochmal auf, wie sehr ich diese Band vermissen werde, wenn sie wirklich irgendwann Feierabend machen. Über "Adieu" reden wir da besser gar nicht erst.