Lizenz zum Nervtöten

eröffnet von Christian am 24.08.2005 14:25 Uhr
13 Kommentare - zuletzt von madsteven

Christian
Christian
24.08.2005 14:25Admin

True true... Toller Artikel aus der taz von heute. Böse, aber lesenswert.

Die Hölle heißt heutzutage Privatradio. Warum dreht ihnen keiner den Saft ab?
Sie heißen Antenne Bayern, Hit-Radio Antenne 1, Radio 21, Mallorca 95,8, Hitwelle Isental, joyfm.de, Radio nrj, Power Radio, Radio PSR. Sie haben unser Gemeinwesen seit gut 20 Jahren mehr verändert als alle vergangenen und wohl auch künftigen Bundesregierungen und es konsequent in die ästhetische Steinzeit zurückgesendet. Kaum ein Schrebergarten-Gulag, Schwimmbad oder Baumarkt, kaum eine Hotellobby, Arztpraxis, Gaststätte oder Einkaufsarkadenklitsche, wo nicht der Verderben bringende Stilmix aus Castinghits und Oldiejauche durch die Boxen quillt.

Bei den Friseuren der Preislage "Haarscharf" oder "Haarmonie" übertönt er das Geschrei der mit Marianne-Rosenberg-Frisuren gefolterten Opfer. Adipöse Handwerker kompensieren damit den eigenen Selbstvergewisserungslärm. Lätta-Frühstücker ornamentieren damit ihre morgendlichen Bulimieattacken. Leute mit integrierter Verneigetechnik vor dem Mittelmaß summen mit, während sie das tun, was sie Kochen nennen. Brummifahrer mit den beliebten Steffen-, Jens- oder Rico-Schildern hinter der Frontscheibe suchen bei den Äthertätern Zuflucht vor dem eigenen Motoreninferno. Sie komplettieren die Dreifaltigkeit des modernen Unheils aus Museumsnächten und NPD-Landtagsfraktionen und werden mit dem Euphemismus "Privatradios" umschrieben.

Was sie schon zu nachtschlafender Zeit gute Laune nennen, bricht aus affektlabilen Frühstücksdirektoren hervor, die höchstens den IQ eines über Generationen mit radioaktiv verseuchten Regenwürmern gekreuzten FDP-Nazis unter Verwendung von angeknabberten RTL-2-Stammzellen nutzen, um den unterhaltungssanitären Bereich vollends von vernunftgeleiteten Prozessen abzukoppeln. Die Sendelizenz als Lizenz zum Nervtöten.

Also beginnen sie die Tagestotalität des "Programms" wie in der Seniorenresidenz: "Wir helfen Ihnen beim Aufstehen." Dann kommen Jingles, Werbung und "der ganz normale Wahnsinn": Nachrichten zur vollen und halben Stunde, Jingles, Werbung, Verkehrsmeldungen, Jingles, Wetter im Viertelstundentakt, Werbung, Jingles, Sportmeldungen, Jingles, Tankstopp - die aktuellen Spritpreise, Jingles, Werbung, Horoskop sowie Infos aus der Region und aller Welt und Jingles. Und Werbung. Dazwischen Quatsch- und Flirttelefone, schlüpfrige Witze aus Kindermund und all das, was in Deutschland trotz eindeutiger Quellenlage und weltweit gegenteiliger Ansichten für lustig gehalten wird. Oder es wird die "Jobbörse" mit den beiden aktuell freien Stellen im Sendegebiet anjongliert. Wer nach 4.000 Wettermeldungen, 8.000 Jingles und 16.000 Werbespots noch immer nicht dement geworden ist, erträgt "kurz nach halb 5" sogar die "Veranstaltungstipps".

Wo kein Geschlechtsverkehr mehr droht, bleibt eben nur der Straßenverkehr. Deshalb erfährt der Abhängige über big fm, 104,6 RTL Berlin, Radio RPR, Antenne Süd-Baden, Radio FFH und Planet Radio viertelstündlich, was er nicht begreift und wie das Wetter war, und selbst die "Nachrichten" entpuppen sich als aktuelle Unfallmeldungen. Immer und überall werden "teure Fotos" geblitzt, gibt es böswillige Umleitungen, kommt einem die Straßenreinigung in die Quere oder störender neuer Rollsplitt, gibt es Unfälle, werden von 15-Jährigen reihenweise Autospiegel verbogen, beschädigen umstürzende Bäume zahlreiche Autos oder macht die Kriminalpolizei "verdächtige Wahrnehmungen".

Sollte aber bisher der Eindruck entstanden sein, wertorientierte Privatradios seien wortorientierte Sender, täuscht das gewaltig. Denn am Anfang und am Ende steht die Musik, "die größten Hits für Baden-Württemberg", die "Musik für das Vogtland, Westsachsen und Ostthüringen", vornehmlich und weithin vernehmlich erbrochen aus gängigen Flops der Siebziger, Achtziger und Neunziger und dem Schlechtesten von heute. Und selbst wenn man diese "Musik" außer Acht ließe, wären die antizivilisatorischen Reflexionen in den seltensten Fällen als Wortbeiträge zu erkennen. Dazu müssten die Moderatoren mit ihrem Soziolekt aus Gebrauchtwagenhändlerlexik, Zuhälterwitzchen und humanoiden Klingeltönen semantisch und phonetisch auf der Höhe unserer Zeit sein. Doch das sind sie nicht. Und streng genommen müssen sie das in ihrem jeweiligen "Sendegebiet" gar nicht.

Private Radiomacher sind längst eine viel machtvollere Landplage als die in dieser Beziehung auch nicht zu verachtenden Liedermacher geworden. Denn: "Bei uns gibt's keine faulen Kompromisse." Und: "Wir sind von hier. Wir wissen Bescheid." Das glauben mittlerweile sogar die öffentlich-rechtlichen Sender, indem sie glauben "darauf reagieren" zu müssen. Und sei es nur, die vom Privatradio gefeuerten Moderatoren mit Steuermitteln für ihren nächsten Einsatz an der Gutelaunefront aufzupäppeln.

Wenn schon Wahlen, dann darüber, ob man den Privatradios endlich wieder den Sendehahn abdrehen sollte.

Quelle: taz

NoelGallagher
24.08.2005 14:36Supporter

Jo, aber mal von privat oder öffentlich abgesehen, gehen mir die Trillionen Radiosender mit "dem Besten der 80er, 90er und dem Besten von heute" oder so ähnlich eh auf die Nerven.

Und beim einzigen Radiosender hier im Norden, der auch mal gute Rockmusik spielt - Delta Radio - sind die DJs etwa so witzig wie ein mies gelaunter Olli Kahn. [addsig]

Brian86
24.08.2005 15:52

find den bericht viel zu krass. meiner meinugn nach müsste es viel mehr radiostationen geben, die eine bestimmte musikrichtung vertreten. Egal ob Rock, Pop, RNB, Techno oder was weiß ich was. Das Programm ist bei den deutschen sendern (fast) überall gleich.
[addsig]

Elli
24.08.2005 16:11

Radio höre ich eh nur wenn ich Samstags im Auto sitze während die Bundesligakonferenz läuft, daher:

[addsig]

KuekenMcNugget
KuekenMcNugget
24.08.2005 17:23

Ich finde den Bericht insgesamt viel zu provokant und genau wie Brian viel zu übertrieben.
Beim Radio läuft es doch genauso wie überall anders auch. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Ich glaube nicht, dass die Radiosender ihr Programm so gestalten würden, wenn die Mehrheit der Hörer genauso darüber denken würde.
Darüber hinaus ist niemand gezwungen sich das Radioprogramm anzuhören. Von daher verstehe ich die Aufregung nicht wirklich.

just my 2 cents

[addsig]

Junior
24.08.2005 18:27

Ich finde den Artikel insgesamt viel zu lang um den jetzt zu lesen!
Kann nicht mal einer ne kurze Zusammenfassung schreiben?

Brian86
24.08.2005 19:13

Zitat:


Junior schrieb:
Ich finde den Artikel insgesamt viel zu lang um den jetzt zu lesen!
Kann nicht mal einer ne kurze Zusammenfassung schreiben?


faules schwein.....[addsig]

madsteven
24.08.2005 23:55

Was mich an den Radiosendern besonders nervt, ist das mittlerweile jeder seinen eigenen Telefonterroristen hat und versucht, das ganze als Comedy zu verkaufen. Dabei haben die meisten Beiträge dieser Art nichts mit Humor zu tun.

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