Grenzwertige Künstler vs. Moralvorstellungen vs. Rechtsstaat

eröffnet von mattkru am 31.05.2023 13:04 Uhr
451 Kommentare - zuletzt von IvanTKlasnic

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mattkru
mattkru
31.05.2023 13:04·  Bearbeitet

Da die Diskussion im ‚Rammstein Tour 2023‘ Thread zunehmend ausufert, wäre es vielleicht sinnvoll, das alles hier separat zu besprechen.

Aktueller Anlass: Till Lindemann steht auf organisierten Groupiesex. Dies ist durchaus aus Sicht vieler Menschen moralisch fragwürdig, aber strafrechtlich unbedenklich solange es konsensuell abläuft.

Eine Konzertbesucherin wurde jetzt bei einem Konzert laut eigener Aussage unter Drogen gesetzt und hat Erinnerungslücken. Till Lindemann hatte aber ihre Ablehnung gegenüber Sex akzeptiert und hat sie laut ihrer Aussage auch nicht vergewaltigt.

Selbst wenn Lindemann sich jetzt wohl nicht direkt strafbar gemacht hat, gibt es genug Boykott- und Cancel-Aufrufe.

Es gibt Musiker, die man canceln muss, weil ihre Taten komplett strafbar und gegen jede Norm sind, wie z.B. R. Kelly oder Ian Watkins (Lostprophets).

Bei vielen anderen Künstlern ist die ‚Grenzwertigkeit‘ der Taten und Aussagen durchaus Auslegungssache der persönlichen Moral und oft kommt die Frage „Darf ich die Musik von dieser Person (noch) gut finden?“

Kleine und große Beispiele gibt viele:
Win Butler (Arcade Fire)
Kid Rock
Marilyn Manson
Ted Nugent
Till Lindemann
Stephen Carpenter (Deftones)
viele Black Metal Bands
Phil Anselmo (Pantera)
Roger Walters
Kontra K
Finch
Die Antwoord
Young Fathers
Monchi (Feine Sahne Fischfilet)
Böhse Onkelz
M. I. A.
Xavier Naidoo
Aaron Lewis (Staind)
5 Finger Death Punch
Marteria
Cat Stevens / Yusuf Islam

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Pandamann
31.05.2023 13:58·  Bearbeitet

Finde ich ein sehr diskussionswürdiges Thema.

Es scheint mittlerweile leider eine Beschäftigung von vielen Leuten zu sein, sich bei verschiedensten Anschuldigungen im Namen von Leuten zu empören, die sie weder kennen, noch einschätzen können.

Ist in der letzten Zeit ja fast jeder zweite Thread (Marteria, FSF, Arcade Fire, jetzt Rammstein...) voll von. Verbunden mit den heftigsten Forderungen:
"Ich bin ehrlich, ich hoffe die Tour wird nicht zu Ende gespielt." (aus dem Rammstein-Thread)
"Sollte dies stimmen, möchte ich diesen Typen auf keiner Bühne mehr sehen." (aus dem Marteria-Thread)

Es gibt Bands, die ich mir wegen dem (bewiesenen) Fehlverhalten einiger Bandmitglieder nicht mehr anhören möchte (u.a. Böhse Onkelz) oder wegen extremer politischer Ansichten nicht mehr anschauen möchte (u.a. Roger Waters). Das kommuniziere ich auch durchaus offen so. Trotzdem muss ich damit nicht andere belehren, sie bevormunden oder gar moralisch verurteilen.

Ich finde dieses Schwanken zwischen Idealisierung und Verurteilung von Künstlern mittlerweile äußerst bedenklich und bin schon froh, dass man im europäischen Ausland den Mitmenschen scheinbar mehr eigenes Urteilsvermögen zugesteht.

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DiebelsAlt83
DiebelsAlt83
31.05.2023 14:07Supporter


fulli schrieb:
"Till Lindemann steht auf organisierten Groupiesex."

Ist das belegt?

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Geht ja gut los...

Und damit meine ich nicht dich, fulli!

und gut weiter...

"Sollte dies stimmen, möchte ich diesen Typen auf keiner Bühne mehr sehen." (aus dem Marteria-Thread)

Marteria taucht hier weshalb auf? Wegen eines Vorwurfs der fallen gelassen wurde und keine Anklage erhoben wurde? Und da meint man dann weiterhin es könnte ja doch und sowieso und überhaupt? Sehe ich das richtig?

mattkru
mattkru
31.05.2023 14:20·  Bearbeitet


fulli schrieb:
"Till Lindemann steht auf organisierten Groupiesex."

Ist das belegt?

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Es war doch bereits vorher schon ein offenes Geheimnis, dass Alena M. scouted und die Frauen einlädt. Das meine ich mit ‚organisiert‘.

mattkru
mattkru
31.05.2023 14:26


DiebelsAlt83 schrieb:


fulli schrieb:
"Till Lindemann steht auf organisierten Groupiesex."

Ist das belegt?

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Geht ja gut los...

Und damit meine ich nicht dich, fulli!

und gut weiter...

"Sollte dies stimmen, möchte ich diesen Typen auf keiner Bühne mehr sehen." (aus dem Marteria-Thread)

Marteria taucht hier weshalb auf? Wegen eines Vorwurfs der fallen gelassen wurde und keine Anklage erhoben wurde? Und da meint man dann weiterhin es könnte ja doch und sowieso und überhaupt? Sehe ich das richtig?

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Die ‚Entschuldigung‘ von Marteria kam hier im Forum nicht wirklich überzeugend an. Außerdem kam die nur von ihm. Hat man jemals ihre Version der Story gehört?

Pandamann
31.05.2023 14:37

Wieso diskutieren wir denn jetzt wieder die einzelnen Beispiele?
Mein Beitrag oben hat beispielsweise überhaupt nichts mit dem "Fall" Marteria an sich zu tun, sondern soll nur eine extreme Reaktion auf die Anschuldigungen gegen Künstlerinnen/Künstler zeigen.

Es sollte doch jetzt hier um den allgemeinen Umgang mit Anschuldigungen und (vermeintlichem/ bewiesenem Fehlverhalten) von Musikern gehen oder verstehe ich das falsch?

mattkru
mattkru
31.05.2023 14:41

Wir können hier allgemein drüber reden als auch über spezielle und aktuelle Fälle, um vielleicht alle anderen Threads hier ‚sauberer‘ zu halten.

DiebelsAlt83
DiebelsAlt83
31.05.2023 14:45Supporter


mattkru schrieb:


DiebelsAlt83 schrieb:


fulli schrieb:
"Till Lindemann steht auf organisierten Groupiesex."

Ist das belegt?

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Geht ja gut los...

Und damit meine ich nicht dich, fulli!

und gut weiter...

"Sollte dies stimmen, möchte ich diesen Typen auf keiner Bühne mehr sehen." (aus dem Marteria-Thread)

Marteria taucht hier weshalb auf? Wegen eines Vorwurfs der fallen gelassen wurde und keine Anklage erhoben wurde? Und da meint man dann weiterhin es könnte ja doch und sowieso und überhaupt? Sehe ich das richtig?

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Die ‚Entschuldigung‘ von Marteria kam hier im Forum nicht wirklich überzeugend an. Außerdem kam die nur von ihm. Hat man jemals ihre Version der Story gehört?

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Na irgendwie ist das Ganze ja an die Öffentlichkeit gelangt und soweit gekommen, dass eine Anklage fallen gelassen werden musste. So und dann äußert er sich und man will nun erzählen, dass das die einzige auffindbare Version der Sache ist, die generell anzuzweifeln ist und das die Gegenseite nicht weiterhin daran festhalten könnte, dass es anders war?

Dazu aufzufordern ihn zu canceln (wie ich das Wort schon nicht mag) ist nichts weiter, als eine Verurteilung entgegen der bekannten Fakten. An einem gewissen Punkt reicht es halt auch einfach mal.

Und auch hier aus reinem Selbstschutz: Ich habe kein persönliches Verhältnis zu Marteria (bzw. der Person, die dahinter steckt) und muss ihn deshalb besonders verteidigen.

mattkru
mattkru
31.05.2023 15:09


DiebelsAlt83 schrieb:


mattkru schrieb:


DiebelsAlt83 schrieb:


fulli schrieb:
"Till Lindemann steht auf organisierten Groupiesex."

Ist das belegt?

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Geht ja gut los...

Und damit meine ich nicht dich, fulli!

und gut weiter...

"Sollte dies stimmen, möchte ich diesen Typen auf keiner Bühne mehr sehen." (aus dem Marteria-Thread)

Marteria taucht hier weshalb auf? Wegen eines Vorwurfs der fallen gelassen wurde und keine Anklage erhoben wurde? Und da meint man dann weiterhin es könnte ja doch und sowieso und überhaupt? Sehe ich das richtig?

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Die ‚Entschuldigung‘ von Marteria kam hier im Forum nicht wirklich überzeugend an. Außerdem kam die nur von ihm. Hat man jemals ihre Version der Story gehört?

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Na irgendwie ist das Ganze ja an die Öffentlichkeit gelangt und soweit gekommen, dass eine Anklage fallen gelassen werden musste. So und dann äußert er sich und man will nun erzählen, dass das die einzige auffindbare Version der Sache ist, die generell anzuzweifeln ist und das die Gegenseite nicht weiterhin daran festhalten könnte, dass es anders war?

Dazu aufzufordern ihn zu canceln (wie ich das Wort schon nicht mag) ist nichts weiter, als eine Verurteilung entgegen der bekannten Fakten. An einem gewissen Punkt reicht es halt auch einfach mal.

Und auch hier aus reinem Selbstschutz: Ich habe kein persönliches Verhältnis zu Marteria (bzw. der Person, die dahinter steckt) und muss ihn deshalb besonders verteidigen.

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Ich hab nie geschrieben, dass man Marteria canceln sollte.
Es gab halt nur einen Vorfall, welcher durchaus Flecken auf seiner weißen Weste (sofern er eine hatte) hinterlassen hat. Und es war halt auch ein gefundenes Fressen für die Medien und Social Media (siehe hier).

Wenn man Marteria glaubt bei seiner Begründung/Entschuldigung, dann könnte man auch Phil Anselmo glauben mit seiner ‚White Whine‘-Story. Komischerweise tun das aber nicht viele.

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guitarslammer
31.05.2023 15:13

Was mich bei all dem betroffen macht, sind offensichtlich schlecht recherchierte Artikel, bei denen entweder falsche Anschuldigungen gemacht werden oder Sachen völlig aus dem Zusammenhang gerissen werden. Im Falle Roger Waters war es offensichtlich, dass sich die wenigsten die Show überhaupt angesehen haben, sonst hätte man am Ende noch wohlwollend darüber schreiben müssen. Enttäuscht mich als jemand, der immer ein gutes Wort für die Presse eingelegt hat und auch politisch eher links steht.
Der aus meiner Sicht erste gute Artikel zur Causa Waters kam nach dem Ende der Deutschland-Tour (leider hinter Paywall, deswegen der archive-Link): https://archive.ph/mzwyJ

Finde den Absatz besonders hervorzuheben:

"Kann es sein, dass hier bequemerweise die Strahlkraft eines übersteuert sendungsbewussten Künstlers überschätzt - und zugleich die Urteilskraft seines erwachsenen und möglicherweise vernunftbegabten Publikums unterschätzt wird?"

-------------

Wie man jetzt persönlich mit den verschiedenen Fällen umgeht, liegt halt daran, wie man die Künstler, bzw. deren Aussagen bewertet. Ich persönlich stimme Hr. Waters nicht bei allem zu und bin zum Schluss gekommen, dass ich hingehen kann, da im Endeffekt abzusehen war, dass wie immer lediglich um Weltfrieden geworben wird und außerdem eine wundervolle Show bevorsteht. Trat dann auch genau so ein. Viel Panikmache vorher in der Presse.

Im Fall Rammstein hab ich jetzt Karten, gehe vmtl. auch hin, hätte ich von der ganzen Maschinerie mit Girls casten, Row 0 etc. vorher schon gewusst, hätte ich wohl keine Karten mehr gekauft, so wie ich das bei ner anderen Band auch nicht mehr mache. Das ist allerdings meine persönliche Entscheidung, dass ich das zu ekelhaft finde.

Solange kein Straftatbestand besteht, sehe ich aber bei beiden Fällen keinen Grund, die Konzerte abzusagen, da halte ich doch die Gesellschaft für mündig genug, selbst zu entscheiden, ob man hingeht oder die Künstler mit einer halbleeren Halle abstraft.

Glaube, man kann hier auch nicht verallgemeinernd sagen, wie umzugehen ist mit den verschiedensten Musikern. Am Ende spielt vmtl. (auch bei mir, keine Frage) der Fanbonus ordentlich mit rein, siehe die Pantera-Diskussion. Peter Gabriel wird ordentlich gefeiert in der Presse, unterstützt meines Wissens aber auch BDS und war einer der ersten, der Roger Waters unterstützte, als hier seine Konzerte auf der Kippe standen. Äußert sich halt selbst nicht so offen politisch wie sein Pink Floyd - Kollege. Und von den Foo Fighters kam auch nie ne Aufklärung bzgl. der Aids-Leugner-Organisation, die sie mal vor langer langer Zeit unterstützten.

Letztendlich gestehe ich Menschen Fehlern zu, Musiker sind auch nur Menschen mit Ecken und Kanten und versuche mir mein eigenes Bild zu machen. So komm ich bisher ganz gut durch.

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Paju
31.05.2023 20:47·  Bearbeitet

Ein bisschen Öl ins Feuer? Finde es erstaunlich, wie immer noch vom ach so tollem deutschen Rechtsstaat geredet wird, die sind ja total fehlerlos, immer schon gewesen…

Lina E. wurde soeben freigesetzt. Richtig? Imo ja, hat halt ein paar Leuten, die es verdienen, eins auf die Omme gegeben. 5,5 Jahre Knast?

Aber wenn jemand volltrunken Leute totfährt, gibt es ne Bewährungsstrafe.
Nur ein Beispiel….alles super in Deutschland.

Und dieses canceln….machen auch nur die Leute, die sich dagegen stellen. Solange keine Schuld bewiesen ist….warum nicht mal die Unschuld bewiesen? Geld, Drogen,, Starsein…ja, die mutmaßlichen Opfer wollen nur den Fame. Gaslighting und so. Charlie Sheen ist da ein Beispiel.

CoolProphet
31.05.2023 21:07

Der Thread war glaub keine gute Idee Smiley what could possibly go wrong

Im Rammstein Thread war ja zumindest nur der aktuelle Fall das Thema und nun wird hier teils die ganz große Kelle geschwungen. Au weia! Smiley Naja, wenigstens wirds nicht langweilig nachdem ja noch die Pantera Diskussion nicht so lange her ist.

SmileySmiley

Paju
31.05.2023 21:18

Ja, so soll es doch auch sein, dafür wurde dieser Thread erstellt. Die Beispiele waren nur um zu verdeutlichen, dass der Rechtsstaat halt nicht immer stabil und korrekt handelt, in welcher Form auch immer.

Wie hier halt immer auf der Unschuldsvermutung bepocht wird…ohne auch nur ansatzweise die potenziellen Opfer zu verstehen. Ja, klar, die wollen nur „canceln“.

In den 60er-70ern war Groupie sein „normal“. Zeiten ändern sich.

zell
31.05.2023 21:37


Locust schrieb:
Was ist mit Metallica (Hitlergruß)?

Bei vielen gilt dann auch wer sucht der findet…..

Grundsätzlich sollte das jeder selber entscheiden, aber dieser Instamob ist halt oft auch schwierig.

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Wie ist es überhaupt zu diesem Foto gekommen? Gibt es dazu Infos?

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Rhapsode
Rhapsode
31.05.2023 22:05

Es geht hier nicht darum, die potenziellen Opfer zu attackieren, sondern wenn überhaupt die, die sich ohne selbst irgendwelche Informationen zu haben,

- ein Urteil a priori fällen,
- dieses mit fragwürdigen moralischen Argumenten begründen (nach dem Motto "das darf einen doch bei so einem nicht wundern"), wie man sie in der Rechtssprechung vor 80 Jahren noch kannte,
- insofern auch anscheinend nicht verstanden haben, warum unsere rechtsstaatlichen Grundprinzipien inzwischen die sind, die wir nun mal haben,
- deswegen den Rechtsstaat als Gegenspieler zu den potenziellen Opfern darstellen bzw. diesen mit Täterschutz verwechseln (z.B. "Wie hier halt immer auf der Unschuldsvermutung bepocht wird…ohne auch nur ansatzweise die potenziellen Opfer zu verstehen."),
- normative Aussagen tätigen der Art, man (die Gesellschaft) solle prinzipiell erstmal den Opfern glauben (so als ob es Fälle wie Kachelmann etc. nicht gäbe),
- bis hin zur offenen Verachtung des Rechtsstaates ("Durch den sofortigen Ruf nach dem Rechtsstaat haben die (potenziellen) Opfer halt wirklich nichts gewonnen. Der Ruf nach dem Rechtsstaat ist irgendwo auch ein Ruf gegen die Zivilgesellschaft, die sich solidarisch an die Seite von (potentiellen) Opfern stellen sollte.")

Und nochmal zu Paju im Speziellen: Dass auch der Rechtsstaat nicht fehlerlos ist, ist eine Binse. Die Fehler, die gemacht werden, fliegen aber in der Regel bei der nächsthöheren Instanz um die Ohren, auch dafür ist vorgesorgt. Alles andere, was man gern als Fehler von Gerichtsurteilen in seiner umfassenden Allwissenheit deklariert, rührt in der Regel daher, dass man sich weder mit den Urteilsbegründungen noch mit den dahinterstehenden geltenden Rechtsprinzipien auseinandergesetzt hat. Ging mir selbst in der Vergangenheit bei einigen Fällen nicht anders, bis ich mir beispielsweise mal bei einigen Themen die vertiefenden Kolumnen von BGH-Richter a.D. und Strafrechtskommentator Thomas Fischer bei ZON bzw. SPON durchgelesen habe und mich gezwungen sah, meine sehr naiven Argumente und Überzeugungen über Bord zu werfen.

Was ich bei sehr vielen Leuten beobachte: Der Rechtsstaat ist immer nur so lange gut und korrekt, wie das von mir gewünschte Ergebnis, das einzig moralisch und gerecht ist, dabei herauskommt. Diese Einstellung ist zu reflektieren und zu hinterfragen. Ein bisschen mehr Sokrates täte uns allen gut.

Und dann noch dieses:

"warum nicht mal die Unschuld bewiesen?"

Weil es hier eine gewaltige Asymmetrie gibt: In aller Regel kann man nur beweisen, was ist, nicht das, was nicht ist. Wenn ich dich morgen anzeigen würde und behaupten würde, du hättest zu Zeitpunkt x (an dem du allein warst und somit kein Alibi hast) mir ein Messer an den Hals gehalten und 5.000 Euro von mir erpresst, dann wünsch ich dir viel Spaß dabei zu beweisen, dass du dies nicht getan hast. Aber nach deiner Logik fändest du das ja ganz gut, wenn mir erstmal pauschal jeder das glaubt.

Mambo
31.05.2023 22:07


Paju schrieb:
Ein bisschen Öl ins Feuer? Finde es erstaunlich, wie immer noch vom ach so tollem deutschen Rechtsstaat geredet wird, die sind ja total fehlerlos, immer schon gewesen…

Lina E. wurde soeben freigesetzt. Richtig? Imo ja, hat halt ein paar Leuten, die es verdienen, eins auf die Omme gegeben. 5,5 Jahre Knast?
Aber wenn jemand volltrunken Leute totfährt, gibt es ne Bewährungsstrafe.
Nur ein Beispiel….alles super in Deutschland.

Und dieses canceln….machen auch nur die Leute, die sich dagegen stellen. Solange keine Schuld bewiesen ist….warum nicht mal die Unschuld bewiesen? Geld, Drogen,, Starsein…ja, die mutmaßlichen Opfer wollen nur den Fame. Gaslighting und so. Charlie Sheen ist da ein Beispiel.

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Zitiert mir doch mal bitte den Beitrag, in dem jemand behauptet hat, der Rechtsstaat sei fehlerlos.

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Rhapsode
Rhapsode
31.05.2023 22:24


Mambo schrieb:


Paju schrieb:
Ein bisschen Öl ins Feuer? Finde es erstaunlich, wie immer noch vom ach so tollem deutschen Rechtsstaat geredet wird, die sind ja total fehlerlos, immer schon gewesen…

Lina E. wurde soeben freigesetzt. Richtig? Imo ja, hat halt ein paar Leuten, die es verdienen, eins auf die Omme gegeben. 5,5 Jahre Knast?
Aber wenn jemand volltrunken Leute totfährt, gibt es ne Bewährungsstrafe.
Nur ein Beispiel….alles super in Deutschland.

Und dieses canceln….machen auch nur die Leute, die sich dagegen stellen. Solange keine Schuld bewiesen ist….warum nicht mal die Unschuld bewiesen? Geld, Drogen,, Starsein…ja, die mutmaßlichen Opfer wollen nur den Fame. Gaslighting und so. Charlie Sheen ist da ein Beispiel.



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Zitiert mir doch mal bitte den Beitrag, in dem jemand behauptet hat, der Rechtsstaat sei fehlerlos.


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Abgesehen davon, dass das ja auch ein Strohmann ist, ist es noch dazu vollkommen irrelevant. Es gibt kein fehlerloses System, wir sind hier nicht bei Minority Report (wo der Witz darin bestand, dass auch dieses fiktive System nicht fehlerlos war). Wir haben keine Alternative zum rechtsstaatlichen System und dessen Grundprinzipien.

Ich muss es auch nochmal deutlich betonen: Ich bin entsetzt darüber, wie leichtfertig hier genau das System, was den wohl größten zivilisatorischen Fortschritt jemals begründet hat, als Antagonist der Zivilgesellschaft in diesem Thread bezeichnet wurde.

DiebelsAlt83
DiebelsAlt83
31.05.2023 22:31Supporter


Rhapsode schrieb:
Es geht hier nicht darum, die potenziellen Opfer zu attackieren, sondern wenn überhaupt die, die sich ohne selbst irgendwelche Informationen zu haben,

- ein Urteil a priori fällen,
- dieses mit fragwürdigen moralischen Argumenten begründen (nach dem Motto "das darf einen doch bei so einem nicht wundern"), wie man sie in der Rechtssprechung vor 80 Jahren noch kannte,
- insofern auch anscheinend nicht verstanden haben, warum unsere rechtsstaatlichen Grundprinzipien inzwischen die sind, die wir nun mal haben,
- deswegen den Rechtsstaat als Gegenspieler zu den potenziellen Opfern darstellen bzw. diesen mit Täterschutz verwechseln (z.B. "Wie hier halt immer auf der Unschuldsvermutung bepocht wird…ohne auch nur ansatzweise die potenziellen Opfer zu verstehen."),
- normative Aussagen tätigen der Art, man (die Gesellschaft) solle prinzipiell erstmal den Opfern glauben (so als ob es Fälle wie Kachelmann etc. nicht gäbe),
- bis hin zur offenen Verachtung des Rechtsstaates ("Durch den sofortigen Ruf nach dem Rechtsstaat haben die (potenziellen) Opfer halt wirklich nichts gewonnen. Der Ruf nach dem Rechtsstaat ist irgendwo auch ein Ruf gegen die Zivilgesellschaft, die sich solidarisch an die Seite von (potentiellen) Opfern stellen sollte.")

Und nochmal zu Paju im Speziellen: Dass auch der Rechtsstaat nicht fehlerlos ist, ist eine Binse. Die Fehler, die gemacht werden, fliegen aber in der Regel bei der nächsthöheren Instanz um die Ohren, auch dafür ist vorgesorgt. Alles andere, was man gern als Fehler von Gerichtsurteilen in seiner umfassenden Allwissenheit deklariert, rührt in der Regel daher, dass man sich weder mit den Urteilsbegründungen noch mit den dahinterstehenden geltenden Rechtsprinzipien auseinandergesetzt hat. Ging mir selbst in der Vergangenheit bei einigen Fällen nicht anders, bis ich mir beispielsweise mal bei einigen Themen die vertiefenden Kolumnen von BGH-Richter a.D. und Strafrechtskommentator Thomas Fischer bei ZON bzw. SPON durchgelesen habe und mich gezwungen sah, meine sehr naiven Argumente und Überzeugungen über Bord zu werfen.

Was ich bei sehr vielen Leuten beobachte: Der Rechtsstaat ist immer nur so lange gut und korrekt, wie das von mir gewünschte Ergebnis, das einzig moralisch und gerecht ist, dabei herauskommt. Diese Einstellung ist zu reflektieren und zu hinterfragen. Ein bisschen mehr Sokrates täte uns allen gut.

Und dann noch dieses:

"warum nicht mal die Unschuld bewiesen?"

Weil es hier eine gewaltige Asymmetrie gibt: In aller Regel kann man nur beweisen, was ist, nicht das, was nicht ist. Wenn ich dich morgen anzeigen würde und behaupten würde, du hättest zu Zeitpunkt x (an dem du allein warst und somit kein Alibi hast) mir ein Messer an den Hals gehalten und 5.000 Euro von mir erpresst, dann wünsch ich dir viel Spaß dabei zu beweisen, dass du dies nicht getan hast. Aber nach deiner Logik fändest du das ja ganz gut, wenn mir erstmal pauschal jeder das glaubt.

Zitat anzeigen


Danke!

Ich glaub manch einer hat absolut keine Ahnung davon, wie schnell eine Behauptung jemanden in ultimative Schwierigkeiten bringen kann.

Da würd ich ganz gern mal sehen, wie man dann aus der Wäsche guckt, wenn man seine Unschuld beweisen muss, statt umgekehrt. Völliger Wahnsinn.

Und weiter kann man sagen, absolut null verstanden, dass weder dieses Extrem noch das Extrem der Gegenseite, den tatsächlich Betroffenen überhaupt nicht helfen. Stattdessen erweisen solche Standpunkte regelmäßig einen Bärendienst.

Was von manchen so zu lesen ist, da möchte man gern mal wissen, ob das noch so wäre, wäre man selbst mal in der Situation! Guess what. Sicher nicht.

mattkru
mattkru
01.06.2023 09:57·  Bearbeitet


DiebelsAlt83 schrieb:


Rhapsode schrieb:
Es geht hier nicht darum, die potenziellen Opfer zu attackieren, sondern wenn überhaupt die, die sich ohne selbst irgendwelche Informationen zu haben,

- ein Urteil a priori fällen,
- dieses mit fragwürdigen moralischen Argumenten begründen (nach dem Motto "das darf einen doch bei so einem nicht wundern"), wie man sie in der Rechtssprechung vor 80 Jahren noch kannte,
- insofern auch anscheinend nicht verstanden haben, warum unsere rechtsstaatlichen Grundprinzipien inzwischen die sind, die wir nun mal haben,
- deswegen den Rechtsstaat als Gegenspieler zu den potenziellen Opfern darstellen bzw. diesen mit Täterschutz verwechseln (z.B. "Wie hier halt immer auf der Unschuldsvermutung bepocht wird…ohne auch nur ansatzweise die potenziellen Opfer zu verstehen."),
- normative Aussagen tätigen der Art, man (die Gesellschaft) solle prinzipiell erstmal den Opfern glauben (so als ob es Fälle wie Kachelmann etc. nicht gäbe),
- bis hin zur offenen Verachtung des Rechtsstaates ("Durch den sofortigen Ruf nach dem Rechtsstaat haben die (potenziellen) Opfer halt wirklich nichts gewonnen. Der Ruf nach dem Rechtsstaat ist irgendwo auch ein Ruf gegen die Zivilgesellschaft, die sich solidarisch an die Seite von (potentiellen) Opfern stellen sollte.")

Und nochmal zu Paju im Speziellen: Dass auch der Rechtsstaat nicht fehlerlos ist, ist eine Binse. Die Fehler, die gemacht werden, fliegen aber in der Regel bei der nächsthöheren Instanz um die Ohren, auch dafür ist vorgesorgt. Alles andere, was man gern als Fehler von Gerichtsurteilen in seiner umfassenden Allwissenheit deklariert, rührt in der Regel daher, dass man sich weder mit den Urteilsbegründungen noch mit den dahinterstehenden geltenden Rechtsprinzipien auseinandergesetzt hat. Ging mir selbst in der Vergangenheit bei einigen Fällen nicht anders, bis ich mir beispielsweise mal bei einigen Themen die vertiefenden Kolumnen von BGH-Richter a.D. und Strafrechtskommentator Thomas Fischer bei ZON bzw. SPON durchgelesen habe und mich gezwungen sah, meine sehr naiven Argumente und Überzeugungen über Bord zu werfen.

Was ich bei sehr vielen Leuten beobachte: Der Rechtsstaat ist immer nur so lange gut und korrekt, wie das von mir gewünschte Ergebnis, das einzig moralisch und gerecht ist, dabei herauskommt. Diese Einstellung ist zu reflektieren und zu hinterfragen. Ein bisschen mehr Sokrates täte uns allen gut.

Und dann noch dieses:

"warum nicht mal die Unschuld bewiesen?"

Weil es hier eine gewaltige Asymmetrie gibt: In aller Regel kann man nur beweisen, was ist, nicht das, was nicht ist. Wenn ich dich morgen anzeigen würde und behaupten würde, du hättest zu Zeitpunkt x (an dem du allein warst und somit kein Alibi hast) mir ein Messer an den Hals gehalten und 5.000 Euro von mir erpresst, dann wünsch ich dir viel Spaß dabei zu beweisen, dass du dies nicht getan hast. Aber nach deiner Logik fändest du das ja ganz gut, wenn mir erstmal pauschal jeder das glaubt.

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Danke!

Ich glaub manch einer hat absolut keine Ahnung davon, wie schnell eine Behauptung jemanden in ultimative Schwierigkeiten bringen kann.

Da würd ich ganz gern mal sehen, wie man dann aus der Wäsche guckt, wenn man seine Unschuld beweisen muss, statt umgekehrt. Völliger Wahnsinn.

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Andere Länder haben andere Rechtssysteme oder andere ‚Rechts-Traditionen‘.
Beispiel Japan: wenn man unter Verdacht gerät, wird man quasi so lange verhört, bis man ein Geständnis ablegt.

Dieser Bericht ist zwar schon 15 Jahre alt, aber viel hat sich seitdem wohl nicht geändert:
taz.de

„Das Geständnis gilt in japanischen Strafverfahren als Königin der Beweise. Denn bei Geständnissen gibt es keine zwei Meinungen, keine zweifelhafte Beweisaufnahme in der Sache. Die schwache Seite wird zum Verzicht auf alle Rechte gedrängt und der Schein der Harmonie nach außen gewahrt. 99,9 Prozent aller Strafprozesse in Japan enden mit einem Schuldspruch. 87 Prozent davon basieren auf einem Geständnis.“

Und man würde ja eigentlich denken, dass Japan ein sehr fortschrittliches Land ist.

Roggan29
Roggan29
01.06.2023 11:20

Zufälligerweise lese ich gerade ein Buch das sich um Computeralgorithmen geht (u.a. KI) und wie diese in Zukunft Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben können.

Dabei gab es auch einen Abschnitt der um das Rechtsystem ging und auch Beispiel aufführte wie inkonsistent dort Menschen handeln. Ein perfektes, immer konsistentes Rechtssystem kann es auch einfach nicht geben. Die Richter sind auch nur Menschen und dementsprechend anfällig für subjektive Entscheidungen oder unterbewusste Manipulationen.

Ein Beispiel aus dem Buch war eine Studie, die 81 Richtern aus UK 41 verschiedene fiktive Fälle gegeben haben, wovon 7 Doppelungen mit anderen Namen waren. Bei keinem der 41 Fälle gab es unter den Richtern eine komplette Übereinstimmungen in den Urteilen (Schuld + Strafmaß) und die Mehrheit der Richter hat sogar bei den doppelten Fällen unterschiedlich entschieden.
Dementsprechend wird man wohl immer ein Urteil zu ähnlichen Fällen, die anders entschieden wurden, finden. Aber jeder Fall ist eben individuell + leider auch in Gewissen maße abhängig vom Gericht/den Richtern.

Aber glaube nicht das wir in einem Rechtsystem leben wollen das Urteile von einer KI fällen lässt. Denke das Rechtssystem ist wie hier schon angemerkt durch die Mehrstufigkeit schon recht robust, so dass zumindest komplette Fehlurteile wieder einkassiert werden.
100% Konsistenz wird man nie erreichen können und bleibt Wunschdenken.

Roggan29
Roggan29
01.06.2023 14:03

"Hello World: How to be Human in the Age of the Machine" von Hannah Fry.
Ich empfehle die englische Ausgabe, die deutsche Übersetzung soll nicht so gut sein.

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Rhapsode
Rhapsode
01.06.2023 14:56



Um mal hier noch etwas beizusteuern, was in dem Video deutlich besser rauskommt als bislang:

Der Vorwurf, keine Ahnung aber viel Meinung zu haben, ist selbstverständlich beiden Seiten zu machen. Leute, die auf Social Media mit Beleidigungen und Unterstellungen auf das potenzielle Opfer reagieren, widern mich nicht um das geringste weniger an.

Mir ist es auch völlig egal, ob die Person Medikamente nimmt, sich vor oder während des Konzerts nachweislich so oder so verhalten hat, oder ihre Kommunikation der Geschehnisse angesichts dessen, was sie mitteilen wollte, suboptimal war. Das alles klärt die Angelegenheit nicht, wir wissen dadurch nicht mehr, abgesehen vom Ausmaß, wie schwierig die Geschichte tatsächlich zu beurteilen ist.

Von daher gilt selbstverständlich eine Unschuldsvermutung (diesmal für einen etwaigen Tatverdacht der falschen Beschuldigung) auch für sie. Und es ist auch kein Fehler von ihr, die Sache publik zu machen und anzuzeigen, denn erst das ist ja die Voraussetzung dafür, die Sache objektiv zu klären. Es ist auch nicht ihre Schuld, dass haufenweise Vollidioten mit dieser Information nicht umgehen können und sie dafür als Hure und Schlimmeres bezeichnen und auf der anderen Seite Lindemann als misogynes Drecksschwein abstempeln und Leute mit Rammstein-Shirts in öffentlichen Verkehrsmitteln anpöbeln und das auch noch stolz wie Oskar tweeten.

Und genau deswegen hat der Ruf nach dem Rechtsstaat nicht das geringste mit Victim Blaming oder Täterschutz zu tun, wie hier suggeriert wurde.

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