Coronavirus: ERFAHRUNGEN, TIPPS & HILFE

eröffnet von deLuchs am 11.11.2021 20:16 Uhr
2 Kommentare - zuletzt von Paju

Bitte den Wunsch von DeLuchs beachten und keine unnötigen Beiträge ("Spam") posten! :) Der Beitrag soll ausschließlich Leuten helfen, die selbst gerade in dieser Notlage sind oder ihre Erfahrung oder Ratschäge mitteilen möchten. Allgemeines zum Thema Corona, findet ihr hier: https://bit.ly/30tAqN1
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deLuchs
deLuchs
11.11.2021 20:16·  BearbeitetSupporter

"Mach klar, dass DU das gewinnen wirst!"

Servus liebe Ringrocker,

ich möchte diesen neuen „ruhigeren und hoffentlich hilfreicheren Raum“ eröffnen, in dem möglichst wenige Beiträge - dafür welche mit eigener Erfahrung stehen (die im Idealfall nicht nach wenigen Minuten durch unproduktive Beschuldigung auf irgendwenoderwas überholt werden oder durch heavyRotation-Statistiker), die jemanden wirklich helfen können - sollte er sich mit Corona symptomatisch über einen längeren Zeitraum beschäftigen müssen. So wie ich das vor 6 Monaten erlebt habe. Man schaut, so wie ich, in allen gewohnten Quellen - auch hier im Forum - nach und sucht um Hilfe, um Erfahrungsschätze… findet aber wahnsinnig wenig.

Meine Erstimpfung - nach Genesung - steht übermorgen an. Und für mich steht es außer Frage, ob eine Impfung sinnvoll ist oder nicht. Ich sehne die (zumindest prozentuale) Sicherheit herbei, das Durchgemachte nicht nochmal erleben zu müssen. Oder wenigstens nicht mehr als das, denn ich hatte einen "leichten Verlauf"… Durch diese, meine kleine Geschichte, habe ich schon viele Freunde und Bekannte davon überzeugen können sich impfen zu lassen.

Tag 1, im April 2021:
„Was ist das in meinem Hals? Wahrscheinlich waren irgendwelche Nüsse im Salat-Pesto?“ denke ich als starker Allergiker, während ich mit meiner Tochter im Garten beim Grillen sitze und auf einmal das nie dagewesene Gefühl verspüre, jemand würde mir den Hals zuhalten. Kindgerecht überspielen, lachen. Morgen testen, jetzt schlafen = meine Strategie. Erstmal „Gute Nacht.“

Tag 2:
Oh je, es ist noch da. Ich merke das das etwas „Neues, nicht erlebtes“ ist. Meinen 1. Test mache ich alleine oben und leite vorsichtige (vor)Quarantäne-Raumaufteilungen ein. Negativ. Ich bleibe den ganzen Tag im oberen Stockwerk und bitte Frau und Tochter unten zu bleiben. Der hauseigene weiße Wachhund-Wicht Lenny zieht bei mir ein - das hatten wir so vereinbart wenn einer in Quarantäne muss. Gliederschmerzen und leichtes Fieber kommen dazu. Morgen wieder testen.

Tag 3:
Das Fieber ist jetzt bei 39 und ich habe einen engen Schal an, den ich nicht trage. Test ist wenig überraschend POSITIV, ich lasse mir meinen 27 Zoll Fotobearbeitungs-iMac vors Zimmer stellen und sage meinen Lieben Bescheid: „Wir sehen uns bald wieder.“ Ein Arzt der 116 117 wird heute noch kommen. Wir sagen ihm er soll kurz am Handy anklingeln lassen, damit unsere Tochter keine Outbreak-Szenen im Hausflur miterleben muss.


Tag 4:
Das Fieber bleibt, Husten, Schnupfen, Gliederschmerzen und Kopfschmerzen sind immens. Aber das kennt man. Was man nicht kennt, ist das Engegefühl am Hals, das die Atmung behindert. Ich bin froh, dass ich mich im oberen Stockwerk aufhalten kann und meine Familie möglicherweise nicht angesteckt habe. Viele Gedanken. Wenig Ideen. Ich höre meinen Lieblingssänger Keith Caputo „If you don’t believe in heaven… it wont believe in you.“


Tag 5:
Das Fieber ist fast weg, die Kraft allerdings schwindet. Kleinste Wege zum Bad oder Telefonieren wird zur Kraftanstrengung. Nach 5 Minuten sprechen brauche ich eine Pause. Meine Atmung verändert sich. Ich merke, dass das eine Herausforderung werden könnte. Im Bad schreie ich mein Spiegelbild zusammen, so laut ich kann: „Vergiss es, ich werde gewinnen!“ Ich denke es ist sehr wichtig, sich auf einen Kampf einzulassen. Wer resigniert, könnte verlieren. Sollte es euch passieren, bleibt kämpferisch: Positiv denken, hoffen, träumen!

Tag 6:
Die Schlinge zieht sich zu (so abgedroschen es auch klingen mag). Meine Atmung wird zum bestimmenden Moment. Ich kann nicht voll einatmen, es gibt einen automatischen Ausatemreflex. Ich gehe oft zum Fenster und atme eiskalte Frischluft ein - das einzige was irgendwie brauchbar erscheint. Das Fieber und die Schmerzen sind fast weg, diese waren aber auch noch nie das Problem. Ich schaue Netflix „Mein Lehrer, der Krake“, weine ein wenig und versuche zu schlafen. In den kommenden Tagen erlaube ich mir kein einziges Mal mal mehr auch nur eine einzige Träne zu vergiessen, ich lasse es nicht zu weil ich erkenne dass ich jetzt stark sein muss. Zum Einschlafen verordne ich mir ab heute selbst ein Asthma-Notfallspray, damit ich beruhigter schlafen kann.

Tag 7:
Ich spreche mit meinem Hausarzt der mir signalisiert: „Sie müssen schon verstehen dass ich kein gesteigertes Interesse habe sie abzuhören. Kommen sie vorbei, dann untersuche ich sie. Ich bin in Quarantäne, aber danke für das ehrliche Statement. Dann schaffe ich es entweder alleine oder ich rufe den Notarzt? Richtig? (Die 116 117 ist eine einzige Farce, niemand der sie in dem Falle braucht hat so viel Geduld und einen so langen Atem.) Ich bin auf mich allein gestellt. Ich fotografiere ein wundervolles Wolkengebilde durchs Fenster und lege das passende „Breathe“ von PearlJam auf.


Tag 8:
Es stellt sich ein automatischer Weck-Mechanismus ein. Alle 3 Stunden werde ich wach (möglicherweise um zu ermitteln ob ich noch da bin). Das Liegen im Bett wird zur Qual, ich forme ein großes „C“ um besser Luft zu bekommen. Ich schaue in der BR-Mediathek „Wirtshäuser in Bayern“ (das ist herrlich ruhig, seicht und entspannt mich) und freue mich auf einen Schweinebraten mit Dunkelbiersoß in den Bergen.


Tag 9:
Mein PCR-Ergebnis ist noch nicht da, die Ostertage haben hier wohl viele durcheinander gebracht. Alle gekannten „Grippe“-Symptome sind verschwunden, die Atmung wird immer schwerfälliger. Der Schlaf immer weniger, immer weniger erholsamer. Viele fragen "Wo hast du dich denn angesteckt?". Gute Frage... das wenn ich wüsste, hätte ich mich nicht angesteckt. Möglicherweise im Aufzug des Ärztehauses, möglicherweise woanders. Jedenfalls habe ich alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen befolgt.

Tag 10:
Meine Brustbereich wird heiss, sollte ich es (superseltener Fall) schaffen voll einatmen zu können. Es kommt mir vor wie heiße Wüstensandstaubluft oder TukTuk-Smog in Bangkok. Ich lese den ganzen Tag im Internet und finde keine(!) sinnvollen Erfahrungen zu ähnlichen Verläufen oder irgendeinen Ratschlag. „Das muss jetzt diese löchrige, beschädigte Lunge sein. Ich muss aufpassen.“ Auch heute ist die Informationsmöglichkeit im Internet schwach, es gibt immerhin jetzt einige Erfahrungsberichte auf „zusammengegencorona“, aber man bleibt weitergehend auf sich alleine gestellt.

Tag 11:
Ich kann nicht mehr schlafen, Mein Handy spielt klassische Musik, alles andere ist mir zu schnell, zu turbulent und würde meine Atmung negativ beeinflussen. Ich öffne regelmäßig die Balkontür, um die hereinströmende Kalt-Luft zu erhaschen. Setlist-Gedanke des Tages: Dredg - If all else fails, If all turns to dust, Set sail on a ship built from trust. "Es kommt mir wie eine Weltumsegelung vor und ich treibe im Wildwasser, aber das wird schon wieder."


Tag 12:
Meine Angst wird größer, etwas zu verpassen. Dass muss doch schon diese Lungenentzündung sein, das Gewebe ist bestimmt schon angegriffen… so etwas hatte ich nicht ansatzweise erlebt. Am Abend wird die Luft noch knapper, die Sauerstoffsättigung sinkt auf 90. Ich spreche mich mit meiner Frau ab zu warten, bis meine liebe Tochter eingeschlafen ist. Um 21 Uhr rufe ich den Krankenwagen, er soll ohne Blaulicht kommen.
Es schneit im April, ich warte draussen vor der Haustüre. Die eiskalte klare Luft zu atmen fühlt sich in der Lunge an wie Balsam für die Bläschen. Ich habe Angst davor dort dauerhaft eine Marke tragen zu müssen, nachdem ich auch ohne diese kaum Luft bekomme. Auch die Eindrücke die mich erwarten, bereiten mir Sorge.

Tag 13:
Kurz nach Mitternacht liege ich auf der Notfall-Covid Station im Krankenhaus. Meine Vital-Werte sind vergleichsweise gut, hier geht es um andere Dirnglichkeiten, um Schockraum-Lebensrettung und künstliche Beatmung. Um 3 Uhr wird meine Lunge dann geröntgt, keine Schäden. Was ich an Tumulten und an Eindrücken - die Gesichter der Pfleger und Ärzte - sofern man sie durch die Schutzanzüge überhaupt erkennen konnte, erleben musste vergesse ich nie mehr in meinem Leben. Mittlerweile bin ich fast 3 Tage am Stück wach. In der Nacht höre ich flehende Schreie um Wasser, Luft und halluzinierende „Hilfe, ein Drache!“. Zuerst möchte ich die Stationsklingel drücken, am nächsten Tag werde ich erfahren dass diese Patienten schon viele Woche da sind. Es ist wie in einem schlechten Horrorfilm, nur ohne Film.

Tag 14:
„Sie sind noch nicht alt und in keiner Risikogruppe durch Vorerkrankungen. Sie werden es schon bald geschafft haben… nach 14 Tagen gehen sehr häufig die Atembeschwerden zurück. “ so die hoffnungsvollen Worte der Oberärztin. Ich bin erleichtert, obwohl es mir nicht einen Tick besser geht, ohne zu überlegen bin einverstanden nach Hause gebracht zu werden. Es gibt auch schwere Verläufe, das habe ich gehört und gesehen.

Tag 15:
Ich schlafe durch, einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang.

Tag 16:
Als ich aufwache ist meine meine Atmung spürbar entspannter, die Atemnot wie weggeblasen. Von heute auf morgen. Ich bin überglücklich und froh. Wichtig ist meiner Erfahrung nach, dass man sich darauf einstellen muss, dass ein langer Zeitraum kämpferisch abgewartet werden muss, wie ein Ladebalken bei einem rechenintensiven Computerprogramm. und dass man niemals aufgeben darf… ich denke jede Schwäche würde dieser ScheissDämon erkennen. Es wird oft von Tag zu Tag schlechter, bis es nach ca. 2 Wochen schlagartige Besserung gibt (so die Oberärztin).

Das Gefühl jemand würde mir den Hals zudrücken oder als hätte ich eine Halskrause um bleibt noch ca. 14 Tage (es war wohl eine Gefühlsstörung wie der häufig auftauchende Geschmacksverlust, den ich nie hatte. Alle anderen Symptome dafür doch).

Alpträume und Schlaflosigkeit (der angelernte automatische Weckdienst) begleiten mich noch 2 Monate lang, ich schlafe selten mehr als 3 Stunden am Stück. Manchmal bilde ich mir ein die Schreie von der Krankenhaus-Station zu hören.

Autofahren und viele Dinge des alltäglichen Lebens muss ich mir erst wieder aneignen. Menschenmengen, schnelle Blickwechsel (Actionfilme oder gar Computerspiele) gehen erstmal überhaupt nicht. Konzentration und Kondition sind anfangs nicht vorhanden. Post-its in der Hosentasche erleichtern mit den Einstieg in den Alltag und ins Berufsleben. Ich bin Stammgast in Arztpraxen und lasse alle Organe mehrmals durchchecken. Gefunden wird nichts. Schön und gut erleichternd, aber nicht wirklich überzeugend.

Jetzt, 6 Monate und einem 4-wöchigen Borkum-Aufenthalt später (diese Meeres-Luft, entspannende Naturfotografie und die Gewissheit nichts vergessen zu können und nicht machen zu müssen) geht es in Trippelschritten bergauf. Ich kann Tischtennis spielen (früher Tennis auf HobbyTurnier-Level), ich kann problemlos Autofahren und bin weitgehend arbeitsfähig - mein Desktop hat immer noch am rechten Rand nach Dringlichkeit benannte Ordner, die mir sagen was ich heute machen muss.

Die turbulente Werbewelt zwischen Meetings und Deadlines versuche ich einzutauschen. Gegen Dinge, die Kraft geben - nicht rauben. Und die für mich sinnvoll sind - und für andere. Es ist vielleicht riskant in der jetzigen Zeit einen derartigen Neuanfang zu wagen. Aber wenn ich etwas Positives aus der ganzen Sache gelernt habe, dann das: Das Leben ist zu kurz, um auch nur einen Tag zu verschwenden. Wir wollen ein Naturreisebüro eröffnen, mit Tierfotoworkshops, Fotoreisen, Waldmärchen und Naturerlebnissen für Familien. Ein weiß-geschecktes Eselfohlen wird uns als märchenhaftes Fabelwesen begleiten.


Sollte jemand Fragen haben, sofern es ihn erwischt… schreibt mich GERNE per PN an.
Ich versuche Euch als Leidensgenosse mit eigenen Erfahrungen helfen zu können.
Was hat Euch geholfen - und könnte auch anderen die schwere Zeit erleichtern?

Bleibt gesund!
see you @BilderRätselAdvent Mitte Dezember

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Paju
11.11.2021 23:48

Danke dafür, danke. Gute Erholung und bleib so wie immer. Das Forum braucht dich.

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