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Stilechte Erinnerungen ohne Smartphone – Placebo in Hamburg

Mirco WenzelMirco Wenzel, 24.10.2022

Mirco Wenzel

Mirco Wenzel
24.10.2022

n einer Zeit, in der einem die Kollegen als Antwort auf die Wochenendplanung noch immer sagen, dass man aufpassen soll, ob man sich nicht „das große C“ zuzieht, suche ich mir meine Konzerte in den letzten paar Jahren mittlerweile sehr gut aus. Doch eine Band wie Placebo, die mir seit Teenager-Tagen so viel gibt, zum ersten Mal live und dann auch noch in einer so tollen Halle wie der Barclays Arena in Hamburg spielen zu sehen, hat dann sogar mich mal wieder vom Sofa geholt und mich trotz der Tatsache, dass ich schon im Vorfeld Kritik hörte, zurecht von den Socken gehauen.

Deadletter

Doch bevor ich hier alles vorweg nehme, möchte ich noch ein paar lobende und kritische Worte über die britische Vorband Deadletter verlieren, die mit einer New-Wav-e und Punk-Mischung mit gefühlt recht viel Sprechgesang die Einleitung des Konzertes gegeben hat und ihr Bestes, um das Publikum in Stimmung zu bringen. Zu gefallen schien es dem Publikum zumindest in den vorderen Reihen sehr und ein paar Leute vor der Bühne ließen sich zu erstem Klatschen und tanzen animieren, was sicherlich auch der guten Arbeit von Fronter Zac Lawrence geschuldet war, der anfänglich recht statisch auf der Bühne stand, aber später dann doch agil wurde.

Ein kleiner Wermutstropfen waren die Percussions und das Saxophon, die zuweilen so laut eingestellt waren, dass die Bandkollegen schnell übertönt wurden, was schade war, da die langgezogenen Einzeltöne definitiv eher zur bedrohlichen Untermalung einiger Songparts gedacht waren. Sobald Poppy allerdings einen Schritt vom Mikrofon zurück machte, fügte sich der Sound dann später doch noch recht gut in das Set ein.

Placebo

Danach wurde es erstmal wieder eine Weile hell und bevor Placebo auf die Bühne trat, wurde auf dem Bildschirm eine weiße Schrift sichtbar, die das Publikum daran erinnerte, keine Filme mit dem Handy zu drehen. Ähnliches hatte es wohl schon bei vorherigen Auftritten gegeben und ich hatte mir etwas von Securities vor gruseln lassen, die für ein kleines Erinnerungsfoto direkt einen Saalverweis erteilen, aber nichts dergleichen geschah. Die Aufforderung galt offenbar dem Filmen ganzer Songs, denn der nette Mann von der Security, der zwei Meter hinter mir Posten bezogen hat, hat mir mein Handy nicht abgenommen, wenn ich mal schnell ein Foto geschossen habe, eine Dame vor mir allerdings, die ein Videomitschnitt wurde nett darauf hingewiesen das Handy wieder runter zu nehmen. Das finde ich ehrlicherweise völlig in Ordnung und eine Menschenmenge ohne die ständig sichtbaren weißen Bildschirme war zumindest für mich eine wirklich schöne Abwechslung und ließ die Lichtshow auch endlich mal über dem Publikum wirken.

Abgesehen von diesem Banner, das noch einmal von einer Mitarbeiterin laut vorgelesen wurde, gab es im Übrigen seitens der Band keinerlei Ansagen mehr in diese Richtung, oder anders gesagt: Es gab grundsätzlich keinerlei Ansagen. Die betraten nämlich die Bühne und spielten dann ihr sehr reichhaltig gepacktes Set mit großer Professionalität, aber ohne weitere Worte zu verlieren. Das kann man mögen oder unpersönlich finden. Ich selbst hätte mir ein paar Worte mehr gewünscht, habe allerdings auch bemerkt, dass die Gestik und Mimik von Frontmann Brian Molko durchaus ausreichend war, um die knapp 11.000 Personen starke Menge zum Mitsingen, Jubeln und Tanzen zu animieren. Bei den bekannteren Songs auch durchaus bis in die hinterletzten Reihen des Publikums.

Die Bühnenshow war dabei mit fünf großen, sich über der Bühne bewegenden Bildschirmen im Stil von „Bildstörung“ auf das wesentliche reduziert und verzichtete ansonsten ebenfalls auf überbordende Gimmicks, was mir dann wiederum sehr gefallen hat. Die Musik ist in meinen Augen gut genug, um ganz für sich selbst zu sprechen. Ein wenig schade war es, dass zumindest zwei der großen Bildschirme die meiste Zeit über im unteren Bereich waren und dabei den Blick auf den Rest der Band, abgesehen von den beiden Kernmitgliedern (Brian Molko und Stefan Olsdal) oftmals eher versperrt und sie in den Hintergrund gerückt hat. Ich kann diese „optische Trennung“ aufgrund der Tatsache verstehen, dass die Tour-Musiker die hier am Werk waren nicht fester Bestandteil der Band sind. Ein bisschen mehr Blick auf die Arbeit an Schlagzeug, Keyboard, Geige und Bass wäre aber in meinen Augen schön gewesen.

Die Liederauswahl beschränkte sich bis auf wenige Ausnahmen auf neuere Songs und natürlich speziell die vom im März dieses Jahres erschienenen Albums „Never let me go“. Aus den Reihen meiner Begleiter wurden da Stimmen laut, dass sie gerne ein paar mehr der alten Klassiker gehört hätten. Ich selbst habe mich ein bisschen gewundert, dass eigentlich alle älteren Dauerbrenner erst Richtung Ende des Sets gespielt wurden, denn so gut wie die neuen Songs auch sind und präsentiert wurden, so sehr wurde die Stimmung durch ältere Songs, wie „Song to say goodbye“ und „The bitter end“ noch einmal verdoppelt. Und während dieser Songs waren dann auch doch wieder einige hochgehaltene Handys im Publikum sichtbar.

Alles in Allem ein absolut geniales Konzert und ein absolutes Highlight meiner bisherigen Konzerterfahrungen, nicht nur, weil PLACEBO für mich einen großen Teil meiner schönsten Jugenderinnerungen begleitet hat, sondern auch, weil sie den hohen Erwartungen, die ich an diesem Konzert hatte mit eben diesen wenigen genannten Abstrichen mehr als gerecht geworden sind.

Mirco Wenzel Mirco Wenzel

Seit seinem ersten Konzertbesuch in 2013, dreht sich Mircos Welt um kaum etwas anderes. So ist es auch nicht weiter wunderlich, dass er seinen Jahresurlaub fast ausschließlich auf Festivals verbringt. Sein Hintergrundwissen und Erfahrungen der letzten Jahre möchte er jetzt auch mit anderen teilen.