Festivals United

Wacken Open Air 2024 – Freitag und Samstag

Mark CarstensMark Carstens, 08.08.2024

Mark Carstens

Mark Carstens
08.08.2024

“Es ist so geil! Du gehst schlafen und hörst Metal. Du wachst auf und hörst Metal. Und dann stehst du auf und gehst los, um irgendwo Metal zu hören!” (Ein begeisterter Wacken-Festivalgänger den ich dieses Jahr kennengelernt habe). Heute, am 3. Tag des Wacken Open Air, möchte ich die Aufmerksamkeit auf einen Bestandteil des Festivals lenken, der in meiner Berichterstattung sonst immer viel zu kurz kommt: Der Camping Ground. Ja, im Infield spielen die großen Bands, und auf dem restlichen Festivalgelände sind die kleineren Stages, wo man Newcomer wie Paramena oder auch mal Blaskapellen oder A Cappella Gruppen findet. Dazu gibt es zahlreiche Fressstände, einen Mittelalter-Markt, die Wastelands und natürlich die berühmten Bier-Pipelines, die das Bier unter dem Festivalgelände hinweg direkt in die Zapfanlagen der Bierstände pumpen, ohne dass jemals ein Fass gewechselt werden muss. Aber ein nicht unwesentlicher Teil des Festival-Erlebnisses findet fernab von all dem zwischen Dixiklos und Duschhäuschen, Wohnmobilen und Zelten statt. Legenden (bzw. eigentlich nur Gerüchte) erzählen von Metalheads die das ganze Festival über den Campingplatz nicht verlassen haben weil sie anderen Metalheads begegneten, Freundschaften und Liebschaften schlossen, gemeinsam grillen, Bier tranken und natürlich ganz viel Metal hörten. Aber auch diejenigen, die sich die Konzerte anschauen, stolpern danach im Dunkeln über den Campingplatz und begegnen nicht selten anderen Metalheads, mit denen sie sich Würstchen, Bier und Metal aus der Bluetooth Box teilen. Manche Camper bauen regelrecht eine Bar samt Theke, Zapfanlage und Jägermeister-Maschine auf. Und laden Wandernde die auf dem Weg zum Heiligen Acker sind oder gerade dort herkommen ein, für ein geisthaltiges Getränk zu verweilen bevor sie ihre Reise fortführen. Wie auch auf dem Festival herrscht auch auf dem Campingplatz eine familiäre Atmosphäre des Miteinanders, des aufeinander Aufpassens, des “wir gehören zusammen”. Oder, um einen anderen Festival-Besucher zu zitieren: “Endlich mal normale Leute.”

Blues Pills

Es gibt einige Bands, die am Tag ihres W:O:A Auftritts ihr Album releasen. Dieses Jahr reiht sich Blues Pills in diese Gruppe ein. Aber was gibt es schöneres als eine Release Party auf dem heiligen Acker mit einem großen Haufen Metalheads? Wobei Blues Pills – wie der Name schon verrät – keine Metal-Band ist. Die Schwedische Combo um Sängerin Elin Larsson spielt Blues Rock, mit einigen Songs, die man auch dem Hard Rock zuordnen könnte. Mit souligen Gesang und psychedelischen Gitarren-Passagen ist Blues Pills alles andere als „Heavy“. Aber das stört niemanden. Denn Blues Pills rockt. Das Energielevel von Elin, die bei all ihren souligen, gestützten Gesang mit beeindruckend langgezogenen Vocals trotzdem nie stillsteht und über die Bühne flitzt als wolle sie metalcore-bands konkurrenz machen überstrahlt an diesem sonnigen Tag die Crowd, die sich versammelt hat um mit ihr das neue Album “Birthday” zu feiern. Den gleichnamigen Titelsong “Birthday” gibt es gleich als erstes, gefolgt von “Don’t you love it” und “Top of the Sky” die ebenfalls vom neuen Album sind. Die Inhaltsstoffe der Blues Pills sind wie immer vielversprechend. Ein eher hell gestimmtes Drumset, das einen klaren, nicht zu schnellen Rhythmus vorgibt. Eine recht schnelle aber immer noch groovige Bass-Line die einen zum Wippen und Nicken animiert. EIne Gitarre mit dem klassisch-Bluesigen Overdrive-Sound, die die Backings für Elins soulige Vocals singt. Für den Einstieg in einen sonnigen Festival Tag sind die gute Laune und der nicht ganz so harte Bluesrock von Blues Pills wie immer ein guter Start.

Ankor

“Was spielen die?” Fragt mich mein Festival-Buddy, als ich ihm sage, dass ich als nächstes zu Ankor gehe. Und ich muss kurz überlegen. Ich denke die Genre-Zuordnung wäre “Alternative Metal”, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Die spanische Band mit internationaler Besetzung (Sängerin aus UK, Drummerin aus Griechenland, der Rest der Band aus Spanien – sorry – Katalonien) variiert in ihrer Musik zwischen eingängigen Hooks mit Klargesang und brutalen Riffs bei denen einem die Gitarre fast leid tut und Screams die die Ohren klingeln lassen (im positiven Sinne – wenn man drauf steht). “Darkbeat” ist der Eröffnungssong, eine Single die vor kurzem released wurde und auch Name ihrer aktuellen Europa-Tour. Sofort zeigt Jessie (Sängerin) die beeindruckenden Wechsel zwischen Singing und Screams. Ein harter, schneller Bass treibt die schnelle Doublebass-Drum vor sich her und übertönt schon fast die beiden Gitarren, die von den Gitarristen fast schon verprügelt werden. Und dann wird’s plötzlich leise, das ganze Gezerre aus Gitarren und Bass verschwindet in eine schnelle aber “ungeladene” Melodie während Jessi fast harmlos ins Mikro sing. Nur ganz kurz. Und dann BAAAAM!! Screams, Bass, Gitarre, harte Drums … die kurzen Pausen sind nicht zum Luftholen da, sondern um die harten Töne schnell runterzuschlucken bevor es wieder Nachschlag gibt. Weitere Songs wie “From Marbles to Cocaine” oder “Lost Soul” sind ein wenig melodischer. Was heißt sie fangen mit einer etwas längeren melodischen Passage an und haben längere ruhige Passagen, aber die harten Riffs und Screams ziehen einen immer wieder hoch und bringen die Menge zum Moschen und Bangen. Einzig “Oblivion” kommt nahezu ohne Screams aus (außer als Backing Vocal), und selbst die Riffs und die schnelle Drum halten sich ein wenig zurück, um dem Klargesang genug Space zu lassen, damit ein wenig Melancholie aufkommt. Alles in allem ist Ankor aber eine Band zum Abgehen, Abrocken, vielleicht auch mal zum Abreißen und Abreagieren. Und vor allem eine Band, die man sich live gönnen sollte.

Feuerschwanz

Ähnlich wie In Extremo, die am Mittwoch auf der Bühne standen, ist auch Feuerschwanz eine Deutsche Mittelalter-Metal Band. Für jemanden wie mich der Mittelalter-Metal eigentlich nur auf Festivals hört wenn die Bands eh da sind, und sich mit dem Genre nicht so wirklich auskennt, war es immer schwer zuzuordnen ob der Song nun von In Extremo oder von Feuerschwanz ist. Oder Saltatio Mortis vielleicht. Bevor jetzt die Empörung der Mittelalter-Metals-Fans überschwappt will ich schnell ergänzen dass ich beide Bands gerne live sehe, vor allem Open Air oder auf Festivals, wo unter dem freien Himmel und “unter Freunden” Mittelalter-Songs mit Geige, Dudelsack und Drehleier schöne Stimmungsmacher sind wenn es mal nicht gerade Voll-Auf-die-Fresse-Und-Ne-Doublebass-Oben-Drauf Metal sein soll. Wobei Feuerschwanz dann doch um einiges “Härter” ist als z.B. In Extremo. Die Gitarren-Griffs sind kräftiger, die Drums schneller und gleichzeitig schwergängiger, und auch der Gesang ist tiefer und hat auch mal Metal-Screams. Während In Extremo Mittelalter-Musik mit einem leichten Metal-Einfluss spielt, ist Feuerschwanz klassischer Drachentöter-Power-Metal garniert mit Mittelalter-Instrumenten. Auch vom Bühnenbild her ist Feuerschwanz mehr “Metal”. Schwerter stecken im Boden der Bühne und Walküren in (knappen) Rüstungen schwenken Flaggen, während der Sänger “Hauptmann Feuerschwanz” von “SGFRD Dragonslayer” singt und dabei eine Rüstung trägt. Respekt, vor allem bei den sommerlichen Temperaturen und der Bühnen-Pyro die während der Show abgefackelt wird. Es folgen Songs wie “Bastard von Asgard”, “Ultimate Nocte” und “Berzerkermode”, die mit donnernden Drums und schreddenen Gitarren von nordischen Legenden und epischen Schlachten singen. Dazwischen gibt es auch mal Songs um die Laune zu heben wie der “Schubsetanz” und “Die Hörner Hoch”. Gerade “Die Hörner Hoch” schafft es eine Tavernen-Mitsing-Atmosphäre zu schaffen, wie man es von anderen Mittelalter-bands kennt. Aber allein das Man-O-War Cover “Warriors of the World” als Zugabe zeigt, dass Feuerschwanz solider Power-Metal ist. garniert mit Geige und Dudelsack.

Gene Simmons

Wer kennt ihn nicht: Den mit Weiß-Schwarzer Schminke bemalten, Axt-förmigen Bass schwingenden, Feuer spuckenden Sänger der weltberühmten Band KISS. Rock ‘n’ Roll Hall-of-Famer Gene “The Demon” Simmons ist eine Legende des Rock und zusammen mit KISS eine Ikone Glam-Rock, aber in schwarz und viel härter. Von 2019 bis 2024 war KISS auf einer 4 Jahre Langen Abschiedstournee “End of the Road”,die im Dezember 2023 im Madison Square Garden endete. Unterwegs wurde noch ein neuer Rekord für die “Höchste Flamme die jemals bei einer Musikshow gezündet wurde” aufgestellt. Die Rechte von KISS liegen seit April bei der Pophouse. Das schwedische Unternehmen, das auch schon die Bühnenrechte an ABBA erwarb und die ABBA Show in London produziert, die mit virtuellen Avataren auf der Bühne läuft. Es gibt also Hoffnung, dass man künftig auch KISS Virtuell mit zahlreichen virtuellen Flammen sehen kann.

Aber in Wacken steht nun Gene auf der Bühne, in Fleisch und Blut, aber ganz ohne Schminke und wilden Kostümen. “Nur” mit Nieten auf Kragen und Ärmeln von seinem schwarzen Hemd. Und noch mehr Nieten auf dem schwarzen Bass. Und ganz vielen KISS Songs im Gepäck. Das Set startet mit KISS Klassikern wie ”Deuce” und “War Machine” (technisch gesehen sind es tatsächlich KISS-Cover wenn Gene Simmons sie mit seiner Band spielt), und wird mit Songs aus Genes Solo-Karriere wie “Are you ready” und “Weapons of Mass Destruction” aufgelockert. Gene auf der Bühne zu sehen lässt einen realisieren, dass KISS weit mehr war als nur dick aufgetragene Schminke, grelle Kostüme und Flammen-Shows. “Shout It Out Loud”, “Parasite” und “Cold Gin” sind einfach richtig, richtig gute Rock-Songs. Spätestens bei “Calling Dr. Love” (Dr. Looo-ooove” wie Gene es ausspricht) ist das Bild von KISS aus meinem Kopf verschwunden, und ich verbinde die KISS Songs mit der sonnigen Wacken-Bühne auf der der schwarzhaarige Wuschelkopf-Rocker mit funkelnden Nieten auf seinem Bass. Kurz vor Schluss covert Gene noch einmal gekonnt Mötörhead’s “Ace of Spades” und erntet die Jubel der zigtausend Metalheads. Eigentlich ist seine Zeit nun abgelaufen, aber der Altrocker sagt “F’k it” und spielt noch einen letzten Song. Während auf anderen Bühnen Bands, die ihre Spielzeit überziehen, eiskalt der Ton abgestellt wird, trauen sich die Sound Engineers das in diesem Fall nicht. Aber ein Gene Simmons Gig ohne “Rock And Roll All Night” ist einfach nicht das richtige, und bei so einem Klassiker den Ton abzudrehen gehört sich einfach nicht.

Blind Guardian

40 Jahre ist es her, dassBllind Guardian gegründet wurde. Na ja, genau genommen wurde 1984 “Lucifer’s Heritage” gegründet, die 1987 in Blind Guardian umbenannt wurde. 40 Jahre lang spielt die Band, angeführt von Frontmann und Gründungsmitglied Hansi Kürsch, alle Facetten von was ich persönlich “Drachentöter-Metal” nenne. Langsamer, epischer Metal, der von Helden und Drachen und epischen Sagen erzählt. Dabei haben die Krefelder die ich persönlich alles in allem dem “Power Metal” zuordnen würde viel ausprobiert. Unvergessen das “Legacy of the Dark Lands” Album mit vollem Orchester – das “Blind Guardian’s Twilight Orchestra”, oder die Kooperation mit Iced Earth als “Demons & Wizards”, die immerhin auch 3 Alben herausgebracht hat. Auch auf Wacken sind Blind Guardian recht häufige, aber auch immer wieder gern gesehene Gäste. Ihren ersten Auftritt auf den Heiligen Acker hatten sie bereits 1992, und ich persönlich erinnere mich an 2007, 2011 und 2016 (und ich bin mir sicher, ich hab noch mindestens einen Auftritt vergessen). Ich könnte hier einiges über Guardians Musikstil schreiben, wie dass sich die Musikalischen Aufbauten von Guardian in den Songs kaum wiederholen oder dass die Gitarren-Arrangements die unter den eher harmonisch, episch-langgezogenen Vocals komplex und vielstimmig sind. Aber am Ende zählt folgende Aussage: Wann immer mich Festival Besucher gefragt haben, ob ich zu Guardian oder zur gleichzeitig spielenden Band “Pain” gehen würde, war meine Antwort immer: “Ich hab Blind Guardian schon sooo oft gehört. Aber wenn das ganze Infield von Wacken, zigtausend Metalheads, gleichzeitig den Bard-Song oder Valhalla singen, das willst du auf keinen Fall verpassen.” Und alle, die ich danach getroffen habe, haben mir für den Tip gedankt.

Korn

Damals, als auf MTV noch Musikvideos gezeigt wurden und nicht nur irgendwelche Auto-, Häuser- und Dating-Shows, gab es immer wieder Titel, die nicht nur wegen des Songs, sondern auch wegen des Videos im Gedächtnis blieben. Unvergessen das Video von Nirvana zu “Smells like Teen Spirit”, Prodigies “Firestarter”, Lara Croft’s gastauftritt in “Männer sind Schweine” von den Ärzten oder die unterhaltsamen Musik-Videos der Foo Fighters. Eins der Videos, auf das immer gewartet habe, war “Freak on a Leash”. Angefangen in einem animierten Stil, in dem Kinder irgendwo in ein privates Grundstück eindringen um zu spielen und von einem Sicherheitsmann erwischt werden, löst sich ein Schuss aus der Waffe des Wachmanns und tritt dann aus dem Comic aus um durch die echte Welt bis zur Band zu fliegen. Die Kugel fliegt nur im Proberaum von Korn herum während diese weiterspielen, und wird dann zurück geschickt um im Comic neben eins der Kinder anzuhalten und zu Boden zu fallen. Man kann das Video interpretieren wie man will, die Mischung aus den Comic-Sequenzen, den Real-Life-Sequenzen in denen die Kugel in Slow-Motion durch Abbildungen eines glücklichen Alltags fliegen und schließlich die Band erreicht übte eine unglaubliche Faszination auf mich aus. Dazu kam der Song, der energiegeladenen, harten Metal mit einer groovigen, tanzbaren Bassline kombinierte. Korn waren Wegbereiter des “Crossover” bzw. “Nu Metal” und bereiteten den Weg für andere Größen wie Linkin Park, Limp Bizkit und Slipknot. Als Korn auf der Running Order vom Wacken Open Air 2024 auftauchte, stand mein persönliches Highlight des Festivals bereits fest. Natürlich gab es noch die minimale Chance, dass Korn sich auf ihr neueres Material fokussiert und keine Songs von ihren damaligen Alben “Follow the Leader” oder “Issues” spielt.Aber letztendlich ist es kein richtiges Korn-Set ohne “Falling Away From Me” und natürlich Freak on a Leash, die beiden Songs die mich damals zum harten Fan von Korn gemacht haben. Und die mich immer noch bedingungslos mitreißen. Vor allem auf dem heiligen Acker von Wacken.

Samstag

Der 4.Tag des Wacken Open Air. Die Füße tun weh, der Rücken ist verspannt, der Bierdurst …. nicht wirklich versiegt, aber so ein bisschen geringer als an Tag 1. Auf der einen Seite kann man nicht glauben, dass bereits 3 Tage um sind, auf der anderen Seite hat man so viel erlebt, dass man eigentlich ein bis zwei Ruhetage bräuchte, um all die neuen Erinnerungen zu sortieren.

Bands die man neu entdeckt hat, wie Butcher Babies und Panara … Pamela … Paramena. Bands die man nach langer Zeit wiederentdeckt hat, wie Opeth und Korn. Bands die man sehen wollte aber leider verpasst hat. Neue Fressbuden die man entdeckt hat (mein persönliches “kulinarisches Highlight”: Das Tomahawk-Steak im Brot). Freunde, die man wieder getroffen hat. Bekanntschaften, die man neu geschlossen hat. Pläne für die Zeit bis zum nächsten Wacken. Merch den man gekauft hat und Merch der ausverkauft war.

Dazu Erinnerungen und Vergleiche mit vorherigen Wacken Open Airs. Wie Blind Guardian oder Accept bei ihrem letzten Wacken-Auftritt gespielt haben und ob es besser oder schlechter war als dieses Jahr. Und natürlich das Schlamm-O-Meter. Jahre wie 2023 und 2016, die komplett im Schlamm versunken sind. Oder 2007, wo das Infield vom Heli-Föhn trocken gepustet wurde. 2019, wo es so sonnig war dass Stoff-Masken ausgegeben wurden um sich vom Staub zu schützen (ja, noch vor der Corona-Pandemie). Und die Tatsache, dass ich 18 der 33 Wacken-Festivals besucht habe, und noch nie ein Wacken erlebt habe bei dem es nicht geregnet hat.

Entsprechend war es nicht überraschend, als am Samstagnachmittag der Himmel dunkel wurde. Irgendwann zwischen Dragon Force und Testament werden routiniert Ponchos und Regenmäntel übergestreift, ein paar wenige Regenschirme poppen auf, Mützen werden aufgesetzt oder man stellt sich unter das Zeltdach von Fressbuden und Getränkestände. Als würde man einen Eimer auskippen regnet ein unglaublichen Schauer auf den Heiligen Acker runter, aber die nordischen Küstenwinde treiben die Wolken direkt weiter und nicht mal eine halbe Stunde später fallen nur noch einzelne Tropfen vom Himmel. Aber dieser kleine Schauer bringt den Festival-Besuchern die eine Sache, die ihnen bisher gefehlt hat: Schlamm. Jedes Jahr wenn ich meinen Arbeitskollegen erzähle, dass ich auf das Wacken Open Air fahre kommen sofort Kommentare zur Schlammschlacht. Das Image von im Schlamm versinkenden Metalheads hält sich hartnäckig, und der große Regen letztes Jahr hat das seinige getan um es wieder aufzufrischen. Und auch dieses Jahr wird man Fotos von schlamm-verdreckten Metalheads sehen. Nur dass dieses Jahr der ganze Schlamm aus einer etwas größeren Pfütze im Infield stammt. Dennoch: Schlamm macht Spaß, Schlamm ist des Metalhead’s Freund, also warum nicht etwas Schlamm ins Gesicht malen. Und gut für die Haut ist es bestimmt auch.

Raven

Korn wurde vor 30 Jahren gegründet, Blind Guardian vor 40 Jahren. Beeindruckende Zahlen. Raven hingegen feiert dieses Jahr das 50 Jährige Band-Bestehen. Und zwei der drei Bandmitglieder sind von Anfang an dabei. Die Brüder Mark Gallagher (Gitarrist) und John Gallagher (Gesang/Bass) gründeten Raven 1974 in Newcastle. Raven’s 1981er Album “Rock Until You Drop” war Teil der ”New Wave ob British Heavy Metal” zu denen auch Bands wie Def Leppard oder Saxon gehörten. Charakteristisch für die “NWoBHM” war eine Gelungene Mischung aus Heavy Metal à la Black Sabbath und Deep Purple gepaart mit der britischen Punk-Rock-Attitüde wie sie von SexPistols und Ramones vorgelebt wurde. Zahlreiche Drummer, 21 veröffentliche Alben und unzählige Touren mit Größen wie Saxon und Dirkschneider später stehen die Gallagher Brüder nun auf der Bühne vom Wacken Open Air. Raven sieht aus wie eine alte Herren Band, was nicht verwunderlich ist da die beiden Brüder mittlerweile über 60 sind. Das dünner werdende Haar zeigt sich deutlich inder langen Metal-Matte, und auch sonst sind 50 Jahre Heavy Metal nicht spurlos an ihnen vorbeigezogen. Aber sobald “Destroy all Monsters” gespielt wird verhandeln sich die alten Britischen Herren in eine fette Heavy Metal Band mit einer klaren Punk-Attitüde. Es sind die “alten Herren” die man sieht und denkt “Ich wünschte ich bin in dem Alter nur halb so fit wie die beiden.” Ravens Metal ist relativ simpel und “auf die Fresse”. Songs wie “ Surf The Tsunami”, “Turn The Truth” oder auch der Klassiker “Rock Until You Drop” treiben einen mit harten, schnellen Riffs und sympathischen Britischen Akzent zum Headbangen und “Nachbarn mit den Schultern anrempeln” an. Wer lieber epische Geschichten hört oder anspruchsvolle Gitarrensoli möchte sollte lieber zu Guardian oder Opeth gehen, aber von “Hell Patrol” über Gitarren- und Bass-Solo bis zu “Break The Chain” und “Chainsaw” sorgen Raven durchgehend dafür dass man nicht eine Sekunde still steht und die beiden Brüder schon ein bisschen vermisst wenn sie sich verabschieden.

Emil Bulls

Wir gehen zurück zu einer Band die vor nicht mal 30 Jahren gegründet wurde. Emil Bulls ist eine Münchner Band die in den 90ern im Zuge der Alternative Metal Welle gegründet wurde.Sie wird oft auch als Alternative Metal Band bezeichnet, was ihr aber meiner Ansicht nach nicht gerecht wird. Einige Songs klingen wie Metal-Core, andere sind klar von Thrash-Legenden wie Slayer und Machine Head inspiriert. Dazu kommen für dieses Genre sehr ungewöhnliche melodische Passagen dazu, die eher von Pop-Bands wie a-ha beeinflusst sind. Deutlich zu erkennen am “Take on me” Cover vom 2001er album “Angel Delivery Service”. Aktuell sind die Bulls mit ihrem neuen Album “Love Will Fix It” auf Tour, dass im Januar erschienen ist. In Wacken spielen sie auf der Louder Stage bei strahlendem Sonnenschein vor einer begeisterten Menge, die bereits zum Intro (The Crown and the Ring” von Manowar) laut jubeln. Mit “The Ninth Wave” eröffnen die Münchner also das Wacken-Set. Und bei all der Experimentierfreude und Vielseitigkeit in den Songs, auf der Bühne bleibt die Band eine Alternative Metal Band. So springen und flitzen Gitarristen und Bassist über die Bühne, spielen dabei hart auf ihren Instrumenten rum und werden durch den schnellen Takt der Drum angetrieben. Dazu singt Frontmann Chris von Freydorf Hits wie “The Age of Revolution”, “Happy Birthday You Are Dead To Me” und Songs vom neuen Album “Love will Fixit”. Wenn man die Begeisterung der Menge in der Zahl der Crowdsurfer messen würde, ist die Crowd mega begeistert. Zahlreiche Crowdsurfer lassen sich wieder und wieder von der Menge nach vorne tragen. Aber auch die anderen Bangen mit, schubsen und rempeln sich zu “Warriors of Love” und “When God Was Sleeping” und feiern trotz Sonne und “Crowdsurfer über den Kopf tragen” Workout bis “Worlds Apart” durch.

Dragonforce

Zwei übergroße Arcade-Maschinen links und rechts auf der Bühne, dahinter zwei riesige Drachenköpfer die über die Arcademaschinen hinweg ragen. Dazwischen ein Bühnenbild von zwei Kämpfenden Drachen und die Band-Mitglieder im Stil von Helden. Dragonforce ist eine Power-Metal-Band, die Fantasy und Scifiy im Comic Stil verbindet. Dazu kommt nun Gaming, denn im neusten Album handeln die Songs von Videospielen wie z.B. “The Power of the Triforce” (Zelda) oder “The Last Dragonborn” (Skyrim) Wie in vorherigen Alben sind auch diese Songs von dem typischen Dragonforce-Stil geprägt. Das leitende Element ist die unfassbar schnell gespielte Gitarre von Herman Li, der sie auch gerne mal hochhebt, fallen lässt, einen Tritt verpasst und wieder auffängt. Die Drums von Gee Alzano und die zweite Gitarre von Sam Toteman laufen genauso schnell mit, immerhin sind Sam und Herman seit der Gründung ein eingespieltes Duo, und Gee ist auch schon seit 10 Jahren dabei. Relativ neu im Bunde ist Bassistin Alicia Vigil. Beim letzten Dragonforce Gig in Wacken 2019 war noch Bassist Frederic Leclerc dabei, der sich nach der Tour verabschiedet hat. Aber in diesem Jahr tritt Alicia ein würdiges Erbe an und zeigt, dass sie problemlos mit den “Jungs” von Dragonforce mithalten kann. Dragonforce ist keine komplexe progressive Metal Band mit experimentellen Tempi-Wechseln und anspruchsvollen Hooks. Dragonfroce spielt relativ simplen Power-Metal. Nur halt schnell. Die flinken Finger der Gitarristen und Bassisten der Band und die schnellen Hände und Füße der Drummer haben ihnen den Ruf der “schnellsten Band der Welt” eingebracht, und machten den Song “Through The Fires And Flame” zum allerletzten Endgegner-Level von Guitar Hero. Dazu singt Marc Hudson mit hellen screams von Videospiel-Helden, “Fury of the Storm”, “Soldiers of the Wasteland” und “Doomsday Party”. Eine schöne Idee die nur Games verstehen: Bei “Power of the Triforce” werden große Stoffhühner in die Menge geworfen, die damit wie Wasserbälle spielen oder sie wie Crowdsurfer hin und her tragen. Eine Hommage an das Videospiel, wo der Held Link Hühne hochheben und werfen kann. Mit seiner hellen Stimme kann Marc auch erfolgreich Celine Dione’s “My Heart Will Go On” und Taylor Swift’s “Wildest Dreams” erfolgreich covern. Nur viel schneller, und in Metal halt. Und zum Abschluss gibt es wie immer den Guitar-Hero Song “Through The Fires And Flames”.

Testament

Eine weitere Band die 2019 auf dem Wacken Open Air war, ist Testament. Wenn man über Thrash Metal redet, fallen neben Namen wie Slayer, Metallica, Kreator und Anthrax auch immer Testament. Es ist eine der Bands, die in den 80ern in Kalifornien gegründet wurde und das Genre des Thrash Metal von Anfang an mitgestaltet hat. Neben Slayer war Testament ein großer Teil meiner damaligen LP und CD Sammlung (LPs für zuhause, CDs für’s Auto). Seit damals begleitete mich Chuck Billy’s gut gelauntes Gesicht mit dem schelmischen Grinsen und der immer mal wieder rausgestreckten Zunge durch alle Konzerte die ich mir leisten konnte. Lange bevor ich Slayer und Metallica zum ersten mal live sehen konnte, war ich auf meinem ersten und auch zweiten Testament-Konzert. Entsprechend freut es mich immer wieder, Testament auf der Bühne zusehen. Auch wenn mittlerweile erste graue Haare in den Haaren und Bärten der Band zu sehen sind rockt Testament soliden Thrash-Metal wie “Raging Waters”, “Trial by Fire” und “Do or Die” die Menge, die aufgrund des kurzen Regenschauers teilweise noch in Regenponchos steckt oder sich gerade frisch mit Schlamm eingeschmiert hat. Wie es sich gehört wird in der Crows freundschaftlich gemosht, gerempelt und geschubst bis kleine Moshpits auf natürliche Weise und ohne Ansage von oben entstehen. Andere Bands rufen dei Crowd auf eine nCriclepit aufzumachen, Testament muss nur kurz den Zeigefinger kreisen lassen und die vorhandenen Moshpits wandeln sich in Circles. Diese Energie, diese “Metal-Autorität” macht Testament aus, basierend auf Jahrzehntelange treue zu rudimentären Thrash Metal ganz ohne große Experimente. Und nicht umsonst heißt der letzte Song von Testament “Into the Pit”. Aber das muss eigentlich gar nicht mehr ausgesprochen werden.

Amon Amarth

Es wird Zeit für den letzten Headliner, am letzten Abend des diesjährigen Wacken Open Air. Die Füße tun weh, der Rücken ist steif, der Nacken vom vielen Headbangen verspannt. Ich zücke mein Handy und buche für Montag Abend eine Massage, hole mir noch ein Bier und traue mich gar nicht in die Menge rein, da der Gedanke daran Crowdsurfer über den Kopf zu tragen oder in einen Moshpit zu geraten mir viel zu anstrengend erscheint. Amon Amarth ist eine Gute Band, aber es ist kein Metal-Core, kein Alternative Metal oder Thrash – die Genres, die mich trotz aller Erschöpfung nochmal antreiben könnten. Vikinger-MUsik: Not so much. Denke ich. Und dann startet die Show.

Ich hatte Amon Amarth aufgrund der Outfits und Songtitel als “Viking Metal” abgespeichert. Aber während der “Viking Metal” eher dem Black Metal zuzuordnen ist mit langsameren, stampfenden Rhythmen und (wenn auch eher tiefem) Klargesang, ist Amon Amarth schnell, Aggressiv und gegrowlt. Frontmann Johan Hegg, sprichwörtlich ein schwedischer Hühne mit langen Haaren und langen Bart, growlt in bester Death-Metal-Manier den Eröffnungs-Song “Raven’s Flight”. Dazu gibt es aggressive Riffs, tiefen Bass und ein Maschinengewehrfeuer auf der Double-Bass-Drum. Angesichts der Vikinger-Thematik hatte ich ganz vergessen, dass Amon Amarth eine solide Death-Metal Band ist und somit zahlreiche Elemente mit Thrash Metal gemein hat. Während andere Bands Konzept-Alben rausbringen, hat die Death Metal Band Amon Amarth das konzept “Wikinger” für sich als Band. Amon Amarth ist eine Konzept-Band, die das Thema “Wikinger” in Songs und Auftritten auslebt. Und was für ein Auftritt! DIe Band spielt erstklassisch, es wird Bühnen-Pyro gezündet als müsse man alles, was da ist, nochmal raushauen. Stuntmen in Wikinger- Rüstungen schlagen sich auf der Bühne mit Schwert und Schild und die Band spielt drum herum “War of the Gods” und “As Loke Falls”. Zwei neue Songs werden erstmals auf der Tour präsentiert: “Death in Fire” ist ein unglaublich schneller Song mit dominanten Drumlines, “Find a Way or Make One” startet mit schweren Gitarrenriffs und bleibt eher marschierend im Tempo. Beide Songs machen Lust auf mehr.

Wenn wir bei “Shield Wall” und “Raise your Horns” angekommen sind sind die strapazen der letzten Wochen vergessen, man growlt laut mit und reckt die (Finger-)Hörner bzw. “Pommes-Gabeln” ein letztes mal in die Höhe und tankt noch mal ganz viel Metal-Energie bevor es Sonntag zurück nach Hause in den Alltag geht. Bis nächstes Jahr, wenn es wieder heißt: “See you in Wacken. Rain or Shine.”

Mark Carstens Mark Carstens Hamburg

Mark pendelt zwischen Düsseldorf und Hamburg – immer dorthin wo gerade die besten Konzerte sind. Der leidenschaftliche Fotograf ist im Herzen ein echter Hardrocker: Wacken, Elbriot oder Hamburg Metal Dayz, gerne laut und voll auf die Zwölf.