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Glaube – Liebe – Abschied an Tag 2 beim Amphi Festival 2022

Mirco WenzelMirco Wenzel, 28.07.2022

Mirco Wenzel

Mirco Wenzel
28.07.2022

Gut gebräunt und eingeölt geht das Amphi Festival 2022 in die zweite Runde. Man erkennt deutlich, wer es mit dem Sonnenschutz am Tag zuvor nicht genau genommen hat. Für die bleichen Gothics sind die sonnigen Temperaturen eher hinderlich und wer nicht aufpasst, hat schnell Ähnlichkeiten mit einem roten Hummer. Die wechselnden, teils aufwendigen Outfits sind dabei besonders gnadenlos.

Musikalisch starten wir mit Heldmaschine. Zumindest die zweite Regel bei solch einem Wetter (viel trinken) wird hervorragend umgesetzt. Also raus mit dem Kanister und angesetzt. Trotz der Hitze ist die Menge – dicht unter die Pilze gedrückt – voll dabei. Auf der Bühne reiht sich derweil alles hinter den Trommeln. Bewaffnet mit einem gelb und einen blau leuchtenden Drumstick hämmern sie dann auch schon los. Zu “Weiter!” schmeißt sich Sänger Rene Anlauff bäuchlings zum Crowdsurfen in die Menge. Nach dem Set ist vor dem Set. Also selbst wenn es jetzt nicht mit Heldmaschine weiter geht, folgt auf der Mainstage gleich Aesthetic Perfection.

Bis dahin sind wir aber im Theater, wo uns V2A ihren Post Apocalyptic Hardcore Techno um die Ohren pfeffern. In ihren aufwendigen Kostümen fegen Kevin Stewart und Ines Lehmann zu harten Bässen über die Bühne. Im Theater ist nach den Eskapaden der letzten Nacht die Luft wieder ordentlich runter gekühlt, darum schmeißen sich die anwesenden direkt ins Zeug.

Apropos ins Zeug schmeißen: Aesthetic Perfection haben sich das Wetter etwas mehr zu Herzen genommen. So sind Daniel Graves und seine Kollegen nicht in ihrem üblichen schwarzen Outfits unterwegs, sondern gehüllt in bunte Hawaii Hemden und kurze Hosen erklimmen sie zu „Warte, Warte nur ein Weilchen“ die Bühne, bevor es in gewohnter weise losgeht. Seitdem Daniel Graves nach Österreich gezogen ist, haben sich die Auftritte in Deutschland und Umgebung deutlich erhöht. Die Begeisterung der deutschen Fans hat das aber keinen Abbruch getan. Eher im Gegenteil und gegen Ende des Auftritts hat Aesthetic Perfection erfolgreich einen verschwitzten Hut und sicher auch einen ganzen Haufen Fans mehr. Immerhin ist es für das Wetter rappelvoll vor der Bühne.

 

Nicht so rappelvoll ist es bei Aeon Sable. Im Theater lauschen dafür die Kenner dem eher ruhig dark gothic rock und entspannen sich von der Nachmittagssonne. Die Möglichkeiten zu sitzen-, selbst wenn man sich nur auf den Boden setzt – sind überall ausgeschöpft. Besser für die Hardcore-Fans, die sich dafür frei vor der Bühne austoben konnten.

Ausgetobt haben sich auf der Mainstage danach auch Samsas Traum. Selbst ohne Corona sind Alexander Kaschte und seine Kollegen eher selten unterwegs. Gerüchte weise wollte man sogar komplett aufhören zu touren. Glücklicherweise wurde diese Idee aber nicht in die Tat umgesetzt. Vom Stil her treibt es Samsas Traum mal hier und mal dorthin und von gefühlvoller Ballade bis Black-Metal haben sie sich auch an fast alles gewagt. Aber eins ist immer klar. Es darf provoziert werden und entsprechend ist Samsas Traum nichts für zarte Gemüter. So polarisiert wie die Musik ist auch das Publikum. So hält sich die Menge zwar etwas kleiner als bei anderen Bands, aber der Teil, der eisern vor der Bühne ist voll und ganz dabei. Der Rest flüchtet, wobei die knallharte Nachmittagssonne sicher auch ihren Teil dazu beiträgt.

Mit Wisborg erwartet uns im Theater ein moderner Ansatz von klassischem Gothrock. Binnen von Minuten kann Sänger Konstantin Michaely die Menge mit sich reißen und fegt trotz seiner ruhigen und sanften Stimme nur so über die Bühne und hält damit nicht nur das Publikum auf Trab, sondern auch die Bühnentechniker, die ständig dafür sorgen müssen, dass die tänzerischen Eskapaden von Konstatin nicht dazu führen, dass sich tödliche stolperfallen auf tun. Brandneu im Gepäck haben sie den Song “Erotic Funeral” der bis jetzt erst einmal zuvor live gespielt wurde. Und so lassen wir uns im Theater durch das Set tragen bis von draußen der Weckruf erschallt.

Da wird es nämlich als Nächstes laut. Suicide Commando eröffneten ihre morbide Horrorshow mit einem Auszug ihres neusten Albums “Goddestruktor” und zeigten damit direkt, was von ihnen heutzutage zu erwarten ist: Harte Bässe, morbide Bühnenshow und jede Menge Kritik an der Gesellschaft, Gott und der Welt. Normalerweise zucken die verstörenden Bilder hinter Sänger Johan Van Roy über Leinwände in dunklen und sehr sporadisch beleuchteten Klubs und alten Industriehallen. Aber auch in der frühabendlichen Kölner Sonne verfehlen sie ihre Wirkung nicht. Besonders für unbedarfte ist die doch etwas neutralere Grundstimmung eine gute Möglichkeit, mal Suicide Commando live zu erleben. Hier draußen unter freien Himmel zumindest drückt der Bass einen nicht direkt wieder aus der Tür raus.

 

Düster wird es im Theater derweil mit Erdling. Nach 3 Jahren Dunkelheit durch Corona wagt man sich wieder ans Licht. Wobei jetzt Licht etwas übertrieben ausgedrückt ist, wenn sich Neue Deutsche Härte und Pagen-Metal versucht zur paaren. Unabhängig davon tanzt die Menge direkt mit. Dann richtet Sänger Neill Freiwald auf einmal das Wort ans Publikum. Er hat uns etwas zu erzählen. Er hat leider sehr schlechte Erinnerungen an seinen letzten Auftritt hier auf dem Amphi in 2019. Er musste direkt nach dem Gig weg, weil es sein Vater nicht gut ging, der schließlich auch später verstarb. Aber er will sich nicht von diesen negativen Erinnerungen beherrschen lassen, also hat er ein klares Ziel für heute: Er will diese negative Erinnerung mit einer positiven überschreiben. Und so spielen sie zu ehren seines Vaters “Supernova” und das Publikum dreht vollständig auf und fegen zusammen mit Erdling durch das Set, teilweise schnell, das Erdling sogar einen Song überspringen und später nachholen müssen.

 

Auf der Mainstage erwartet uns bereits Diary of Dreams. Um der Hitze Herr zu werden, hat sich Sänger Adrian Hates einen Ventilator geben lassen. Als schöner Nebeneffekt weht sein prächtiges Haar im Wind. Oder ist das wohl andersrum gedacht …? Egal, sie fangen auch schon an. Doch dann war auch schon abrupt Schluss: Warte mal, das war doch erst 1 Song! Nur einsam die Drums schalten über den Platz. Im Graben ist jemand über ein Kabel gestolpert und hat den Sound zerlegt. Nach kurzer Hektik kann es aber dann doch weiter gehen. Gegen Ende des Set folgt dann noch die Ankündigung vom neuen Album, wobei er mit Details noch sehr sparsam war.

Die Überschneidungen werden mit späterer Stunde immer schlimmer und so erwarten uns im Theater schon fast zeitgleich Sono. Heute sind sie nur zu zweit unterwegs. Keyboarder Martin Weiland hat leider einen Bandscheibenvorfall und muss den Auftritt leider aussitzen – oder liegen. Damit er aber auch was von ihrem ersten Amphi hat, macht Sänger Lennart A. Salomon ein Video per Handy von sich und dem Publikum: Und zack auf Insta hochgeladen! Das Publikum feiert das Synthpop Trio – oder heute Duo – ordentlich und nähert sich mit jedem Ton unweigerlich dem Ende vom Amphi.

Den schließlich bietet sich für uns der unweigerlich größte Albtraum eines jeden Festivalbesuchers: Wo geh ich hin? Der letzte Slot auf den Bühnen überschneidet sich quasi vollständig. Auf der Hauptbühne machen sich Eisbrecher bereit. Im Theater wird das letzt Licht für London After midnight zurechtgerückt und weit entfernt auf der Orbitstage machen sich In Strict Confidence fertig. Wir bleiben an der Mainstage und sehen, was Eisbrecher nach der Zwangspause im Gepäck hat. Man steht noch unbedarft und plötzlich scheppert auch schon der charakteristische Eisbrecher Sound über den Platz. Als Alternative zum hinter raus überziehen haben sie einfach früher angefangen und so rollen Eisbrecher in gewohnter weise wie schon Jahre zuvor über den Tanzbrunnen. Aber nicht alles ist gleich geblieben. Zu einem ist Sänger Alexx Wesselsky noch gesprächiger als zuvor mit Sprüchen wie “Alle 3 Jahre älter, aber kein Stück unschöner!” Fängt er sich lauten Jubel ein. Aber auch musikalisch ist Neues im Gepäck. In der Coronapause wurde nicht nur das Coveralbum “Schicksalsmelodien” produziert, es wurden auch eigene neue Song ersonnen und so haben es sowohl die Single “FAKK” als auch “Frommer Mann” vom aktuellen Album “Liebe macht Monster” in die Setlist geschafft. Genug Zeit zum Reinhören war ja also konnte auch fleißig mitgesungen werden. Zu den letzten Noten verabschiedete Eisbrecher noch gebührend von dem Amphi 2022 und dann war es still.

Zumindest von der Bühne aus. Die Besucher unterhielten sich noch lautstark. Man verabschiedete sich und wer noch nicht genug hatte, schlich sich zur Theatertage, wo die ganz Hartgesottenen nach zwei Tagen Festival daran machten, woran für die meisten nicht mehr zu denken war: Weiter tanzen! Die Aftershow Party lies noch bis 3 Uhr nachts die Fetzen fliegen. Der Löwenanteil der Leute machten sich aber bereits früher auf den Heimweg. Morgen ist schließlich Montag und nicht jeder hat den Luxus, sich mitten im Sommer den Montag frei nehmen zu können. So machten wir uns auch die Heimreise und freuen uns auf nächste Jahr auf: Glaube – Liebe – Amphi! Auf wiedersehen!

Mirco Wenzel Mirco Wenzel

Seit seinem ersten Konzertbesuch in 2013, dreht sich Mircos Welt um kaum etwas anderes. So ist es auch nicht weiter wunderlich, dass er seinen Jahresurlaub fast ausschließlich auf Festivals verbringt. Sein Hintergrundwissen und Erfahrungen der letzten Jahre möchte er jetzt auch mit anderen teilen.