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Freitag + Samstag beim Summer Breeze 2022

Mirco WenzelMirco Wenzel, 27.08.2022

Mirco Wenzel

Mirco Wenzel
27.08.2022

Der dritte Tag des Summer Breeze 2022 sollte unter einem schlechten Stern stehen, zumindest was das Wetter angeht. Am Morgen ist davon noch nichts zu merken – der nächtliche Regen sorgt eher für einen angenehm kühlen Morgen. So wird niemand um 8 Uhr aus seinem Zelt gezwungen und bekommt noch etwas mehr dringend nötigen Schlaf, die die letzten Tage bei vielen ausblieb.

Die Mainstage wird heute von Bloodywood eröffnet. Der einzigartige Mix aus Nu-Metal mit traditionellen indischen Instrumenten sorgt für viel Andrang. Die wohl “aggressivste Flöte des Festivals” bringt die Fans schnell in Bewegung, während die Sänger Jayant Bhadula und Raoul Kerr wie wild über die Bühne springen, auch wenn die Texte und Ansprachen der Band eher harte Kost sind. Abgeschlossen wird der Auftritt mit einem Appell an Diversität und einem großen Dank an das Summer Breeze, dessen Offenheit der Truppe überhaupt erst den Auftritt ermöglicht hat.

Auf der T-Stage machen sich derweil Vended fertig. Der Slipknot Nachwuchs – guckt man nur auf Sänger Griffin Taylor und Schlagzeuger Simon Crahan – ist jedoch keinesfalls auf die Eltern zu beschränken, auch wenn Griffin deutlich bei seinem Vater Corey Taylor gelernt hat. Abseits der Stimme erinnert jedoch nur die Maske von Bassist Jeremiah Pugh an Slipknot. Die noch junge Band hat einen deutlich eigenen, wenn auch noch teilweise unausgereiften Stil. Die Aggressivität ist jedoch nicht von der Hand zu weisen. “I need you all to unleash fucking hell, wall of death mother fuckers”, schreit Griffin. Der Auftritt vergeht in einem Fingerschnippen. “I promised you we will come fucking back”, sagt uns Griffin am Ende und das hoffen wir alle.

Bei Landmvrks fängt es anschließend direkt zu Beginn an leicht zu regnen. Noch interessiert dieser aber nur die wenigsten. Etwas, das sich bald ändern sollte. Bis dahin feiern die Fans ausgelassen und geben den Grabenschlampen einiges an Arbeit. Das Set der Band ist besonders vom letzten Album “Lost in the Waves” geprägt und weist daher nicht nur englische, sondern auch französische Texte auf. Eine Verschnaufpause gibt es aber erst am Ende des Sets, wo plötzlich die Anzahl an Regencapes vor der Bühne deutlich gewachsen ist.

Diese sind auch bitter nötig. “Summer Breeze, wie geht’s euch in eurer Dusche?”, fragt uns eine Bühne weiter, auf der Main Stage, Orden Ogan-Sänger Sebastian „Seeb“ Levermann, während der Regen immer weiter zunimmt. Man könnte Orden Ogan zwar als “die modernste Power Metal Band der Welt” betiteln, handeln ihre Texte doch eher weniger von Schlachten und Wikingern und eher vom technischen Fortschritt: Ein Mittel gegen Regen haben sie jedoch nicht im Repertoire. Bei dem Song “Let the Fire Rain” gegen Ende des Sets denken wir uns aber doch wieder, dass der Regen doch gerade angenehm ist.

Auch bei den sich anschließenden Hämatom sieht das Bild nicht anders aus. Wer sich heute statt Stiefeln für die Turnschuhe entschieden hat, hat nun schlechte Karten. Die Hauptwege zwischen den Bühnen werden langsam zu einer Rutschpartie. Durch die vorhergegangene Trockenheit kann der Boden das viele Wasser nicht aufnehmen und sammelt sich nun in einer dicken Schlammschicht. Dennoch wird die Regencape-Dichte vor der Bühne nicht geringer. So langsam wünscht man sich dann doch, dass der Song “Es regnet Bier” Realität wäre und sich dann zumindest die Becher wieder von selbst füllen würden.

Erst zu Alestorm, ganze fünf Stunden nach den ersten Tropfen, wird der Regen langsam weniger. Aber was wäre ein Pirat ohne Wasser? Auf der Bühne findet man in diesem Fall immerhin nur Bier vor. Alestorm eben. Songs wie “Drink” oder “Pirate Metal Drinking Crew” wurden schließlich nicht ohne Grund geschrieben. Natürlich darf auch die überdimensionierte Gummiente auf der Bühne nicht fehlen. Ebenso wie die Pits im Publikum. Der Bitte von Sänger Christopher Bowes, sich in den Schlamm zu setzen kommen zwar nur die wenigsten nach, dafür gibt es zu “Hangover”, einem passenden Cover von Taio Cruz, einen regelrechten Schlamm-Tornado. Alternativ werden eh alle “schlammig” beim weiterreichend er vielen Crowdsurfer, die sich teilweise stapeln.

Auch wenn es sich bei Jinjer um eine ukrainische Band handelt, liegt der Fokus des Auftritts auf der T-Stage nicht auf den aktuellen Weltgeschehnissen. Natürlich wirft uns Sängerin Tatiana Shmailyuk ein kurzes “thank you all for supporting us, fuck the war” zu und bekommt laute “fuck Putin” rufe zurück, aber mehr auch nicht. Der Fokus liegt auf der Musik. Der ständige Wechsel zwischen ruhigen Passagen und purer Aggressivität ist mittlerweile das Markenzeichen der Band, wenn man Tatiana’s Stimme absieht. Dennoch herrscht weiterhin eine gewisse Ratlosigkeit im Publikum, wie man sich dazu am besten bewegt. Der Pit bleibt heute zum Großteil aus, Spaß haben aber dennoch alle. Grund dafür kann auch Tatiana’s Outfit in Schwarz und Neon Grün sein, das viele Blicke auf sich zieht.

Der Schlamm muss tief sein, denn zu Amorphis hat sich das Publikum vor der Mainstage sichtlich nur gering verändert. „Thank you for coming. It’s nice to see you’re still alive“, sagt uns Sänger Tomi Joutsen während des Sets, welches zu einem großen Teil des vor einem Jahr erschienenen Album “Halo” besteht. „We haven’t played that song much. It’s a duet with a beautiful lady from Holland. Unfortunately she’s not here today“, sagt er weiter, kurz bevor ein Video von Anneke van Giersbergen auf den Leinwänden erscheint und bei “zusammen” den Song “Amongst Stars” performen. Aber auch altes Material ist mit dabei. So treibt es uns mit “My Kantele” zurück nach 1996, bevor mit “House of Sleep” das Ende eingeläutet wird und sich viele den Titel zu Herzen nehmen und zurück zu ihrem Zelt wandern.

uf der Mainstage machen heute Lord of the Lost den Sack zu. Hier sehen wir zum ersten Mal, wie knapp bemessen die Umbauzeiten auf der Bühne eigentlich sind. Während die ersten Töne erklingen, rennt ein Techniker, bewaffnet mit einer Rolle Panzertape, wie wild über die Bühne, um die letzten Dinge zu befestigen. “Wir haben den Regen besiegt!”, ruft uns Sänger Chris Harms mit erhobener Faust zu. In der Tat verirren sich nur noch selten Tropfen Richtung Boden. Die Regencapes zieren aber dennoch die Landschaft der Fans. Neben den eigenen Songs spielt die Band auch “Children of the Damned”, ein Iron Maiden cover, bei dem Lord of the Lost vor kurzem noch als Vorband auftraten. Die Fans singen laut mit, wobei es mit der Zeit immer mehr Fans vor der Bühne werden. Der Weg zu den Bühnen wird allmählich immer schwerer zu gehen, was sich besonders in der benötigten Zeit widerspiegelt.

Und da ist es auch schon fast schon wieder vorbei. Der letzte Tag des Summer Breeze 2022 hat begonnen. Nach einem letzten, diesmal nur etwas kürzeren, aber intensiven Regen lässt sich auch die Sonne wieder blicken. Die ersten Bands des Tages sehen dennoch oftmals erneut nur Regencapes vor der Bühne. Insgesamt fallen an den beiden Regentagen über 50 Liter pro m², was sich entsprechend auf so manches Gemüt auswirkt. Anderes wiederum ist dies völlig egal. Entweder baden sie im Schlimm oder feiern, als wenn alles normal ist. Die Wege bilden in der Zwischenzeit ein wahres Hindernis. Wer keine Stiefel hat, ist völlig machtlos und rutscht in einer Tour. Mit Stiefeln ist dies nur geringfügig anders, dafür bleiben die Füße meist im Zentimeter hohen Schlamm und Wasser trocken. Es ist eine Wassermasse, die das Summer Breeze noch nie gesehen hat und die Organisatoren an ihre Belastungsgrenze und darüber gebracht hat. Dennoch musste kein Auftritt aus diesen oder anderen Gründen abgesagt werden. Lediglich gab es eine Verschiebung, was die Timeslots zweier Bands betraf, die einfach getauscht haben.

Nämlich Dark Funeral. Diese haben aufgrund von Flugproblemen ihren Auftritt vorziehen müssen und stehen nun statt um 1 Uhr nachts schon um kurz nach 16 Uhr auf der Bühne. Zugegeben, es ist etwas komisch, eine Black Metal Band am Nachmittag zu sehen. Die sonst ruhigen, von der Lichtshow untermalten Bewegungen sind die gleichen, nur ist es hell. Die Fans nehmen es mit Humor. Lieber so, als dass das Konzert ausfallen muss. So wird auf der Stelle das Haar geschwungen – Black Metal eben.

Bei Bury Tomorrow ändert sich das Bild schlagartig. Egal wo man hinguckt, wo vorher Stillstand war, plötzlich ein Pit. Immer wieder treibt Sänger Daniel Winter-Bates das Publikum weiter an. “I Want this whole fucking place spinning” – “You think we are fucking done? We need your movement!”, sagt er, während er selbst wie wild auf der Bühne auf und ab läuft, zusammen mit dem Rest der Band. Es ist die erste Tour seit dem Ausstieg von Gitarrist und Clean Sänger Jason Cameron im letzten Jahr. Die neue Besetzung kann aber sofort überzeugen und alle Songs, die seitdem entstanden sind, werden zum Besten gegeben. Trotz Electric Callboy vor ein paar Tagen möchte die Band einen Crowdsurfer Rekord aufstellen. 1.000 Surfer sollen es zu “Man On Fire” werden. Am Ende kommen “nur” über 160 im Graben an, auf einen Song gerechnet wirkt es aber dennoch rekordverdächtig. “Best Festival in the Summer, thank you very much”, sagt Daniel schlussendlich und hat spätestens damit die Herzen der Fans erobert.

Schon zu Beginn des Sets von Blind Guardian sagt uns Sänger Hansi Kürsch, dass es noch nie auf einem Blind Guardian Konzert geregnet hat. Puh, da haben wir aber Glück gehabt. Tatsächlich bleibt der Regen weiterhin aus, über bleibt nur der Schlamm, der inzwischen überall ist, außer auf dem kleinen gepflasterten Streifen vor der Bühne. Es steht ein Song mehr als geplant auf der Setlist, meint er weiter, daher muss er sich heute kurz fassen mit Ansagen. Das klappt nur mäßig, wird aber damit ausgeglichen, dass die Band 10 Minuten früher als angekündigt auf der Bühne steht. Das Set ist heute die geplante Jubiläumstour zum 30. Geburtstags des Albums „Somewhere Far Beyond“. So gibt es das Album in voller Länge, was viele Fans freut. “Mir wurde über die Jahre immer wieder gesagt, dass das Summer Breeze kein Blind Guardian Publikum ist, aber ich stelle fest, es IST ein Blind Guardian Publikum, das ist alles Fake News”, sagt Hansi später. Es ist ihr erstes Mal auf dem Festival, aber er versichert, dass es keine weiteren 25 Jahre dauern wird, bis sie wiederkommen. Lautes Mitsingen steht heute and er Tagesordnung. Dies jedoch besonders beim letzten Song des Auftritts, “Valhalla”, bei dem das Publikum noch weit über das Ende hinaus singt.

Genau dies macht sich Heaven Shall Burn zunutze. Wo sonst aktuell ein Intro von Scooter ertönen sollte, steht plötzlich Sänger Marcus Bischoff auf der Bühne. Er meint, das würde jetzt komplett die Stimmung zerstören und findet, dass wir noch weiter singen sollen. So stimmt er wieder “Walhalla” an und lässt das Publikum einen Moment singen, bevor es mit “My Heart and the Ocean” direkt in die Vollen geht. Pyro steht hier an der Tagesordnung. Generell gibt es gefühlt mehr Songs mit, als ohne Pyro am heutigen Abend. Das Set ist vom letzten Album geprägt, enthält aber auch ein Cover. “Valhalla” von Blind Guardian wird jedoch nicht gespielt. “Das wäre Gotteslästerung”, meint Marcus. Dafür gibt es das klassische “Black Tears” von Edge of Sanity. Mit “Behind a Wall of Silence” befindet sich jedoch auch ein sehr alter Song im Set. Gegen Ende des Auftritts meldet sich Gitarrist Maik Weichert zu Wort und hält eine kurze Ansprache gegen Krieg und Faschismus, bevor das Intro von “Tirpitz” ertönt. Anschließend meldet sich Marcus erneut und bedankt sich im Namen aller Bands dafür, dass wir alle trotz dem Schlamm und Regen dennoch hier sind. Es ist zwar noch nicht das letzte Festival der Band, aber den heutigen Tag kann nichts mehr toppen. Das große Finale ist heute „Hunters Will Be Hunted ”, bei dem die Fans nochmal alles geben.

Alles hat ein Ende – auch das Programm auf der Main Stage. Hier gab sich niemand geringeres als die fränkische Spass Metal Fraktion J.B.O die Ehre, als letzte Band des Festivals auf der Main nochmal eine fette Party zu feiern. Vergessen war der Regen, der Matsch, die verlorengegangene Stimme, die schmerzenden Füße – hier wurde nochmal alles gegeben und mächtig die Sau rausgelassen, um den wahren Blödsinn zu verteidigen. Als ein Flugzeug mit einem perfekten Wurf den Weg auf die Bühne fand, wollte Hannes es genauso gut wieder zurückwerfen – der erste Versuch misslang – der Zweite konnte dann als “okay” verbucht werden. Der Song “Keep of Rockin’”, der eigentlich schon nach dem eigentlichen Schlusspfiff angestimmt wurde, war der Band eine Herzensangelegenheit, sich deutlich gegen den Krieg auszusprechen, sodass es für die Bühnencrew in Ordnung ging, ein paar Minuten später in den Feierabend zu starten.

Mirco Wenzel Mirco Wenzel

Seit seinem ersten Konzertbesuch in 2013, dreht sich Mircos Welt um kaum etwas anderes. So ist es auch nicht weiter wunderlich, dass er seinen Jahresurlaub fast ausschließlich auf Festivals verbringt. Sein Hintergrundwissen und Erfahrungen der letzten Jahre möchte er jetzt auch mit anderen teilen.