Festivals United

Endlich wieder Musik für Herz + Seele beim Amphi Festival 2022

Mirco WenzelMirco Wenzel, 27.07.2022

Mirco Wenzel

Mirco Wenzel
27.07.2022

Nach drei Jahren ist endlich wieder Zeit zu tanzen. Unter dem Motto "Glaube – Liebe – Amphi" trifft sich die schwarze Szene am Rheinufer in Köln und schwingt auf zwei Bühnen am und einer auf dem Rhein das Tanzbein. Leider ist der Wasserstand so niedrig, dass die MS Rheinenegie und damit die Orbitstage auf die andere Seite des Rheins in die Altstadt umziehen musste, damit verlängern sich leider die Wege zwischen der Orbitstage und dem Tanzbrunnen enorm – trotz der Shuttle Busse. Während Chemical Sweet Kid die Mainstage für das Amphi Festival 2022 eröffnen, sind viele Besucher noch bei der Anreise oder dem Betreten des Geländes. Alles ist zwar irgendwie anders nach der langen Auszeit, aber dennoch angenehm vertraut. Also wird erstmal eine Runde gedreht und am Merch das Lieblingsshirt erstanden.

Womit die Zuschauer aber eindeutig noch sehr vertraut sind, ist das Mitsingen. Als Nachtblut nach vielem Gezurre und Gezerre doch grünes Licht vom Ton bekommen, geht es richtig los. Die Osnabrücker rocken voller Energie und das Publikum steigt mit ein. Die Stimmen sind schonmal aufgewärmt. Und obwohl die Mittagsstunden gerade erst erreicht sind, klettern die Temperaturen unerbittlich weiter. Schon jetzt wird immer wieder nach einer Erfrischung durch das kühle Nass gesucht. Von innen und von außen!

Was man in den Coronajahren natürlich auch mit vermisst hat, sind die Ansagen. So kündigt Kriminalbiologe Mark Benecke den nächsten Act an: “Was ist härter als Eisen? – Stahl. Wenn man früher eine Heterobeziehung hatte, dann hatte man eine Frau und einen …? Einen Mann! Das macht? – Stahlmann!” Trotz ständiger personeller Veränderungen ist Stahlmann um Sänger Martin Soer immer noch am Ball. Der Kern der Sache ist aber gleich geblieben. Es gibt Neue Deutsche Härte! Also wird der CO²-Werfer ausgepackt und Dampf abgelassen. Frisch davon befreit, muss nur noch der Rucksack wieder weg, also ab in die Traverse damit! Mit “Schwarz” beschreiben sie dabei sehr gut das Publikum – abgesehen von einigen Ausnahmen ist der Tanzbrunnen endlich wieder Schwarz – durch und durch.

Aber nicht nur auf der Mainstage gibt es Programm. So eröffnen die gut frisierten Jungs von Alienare die Theater Stage. Gehüllt in ihren grünen Schein, noch sicher vor der Hitze und der Sonne, wird sich im Theater warm getanzt. “Wir feiern heute das Amphi 2020, 21 und 22 und genauso müssen wir auch feiern.” Das Leben mit angezogener Handbremse ist für viele vorbei und wer nicht zuvor einige der wenigen Gelegenheiten wie das Wave-Gotik-Treffen nutzen konnte, hat heute seinen ersten Festivaltag seit Jahren vor sich. Entsprechend heißt erst mal: nicht kleckern, klotzen! Das wird sich sicher bei dem Ein oder Anderem im Verlauf des Tages rächen.

Also letzter Ton ist gefallen schnell raus: Uff. Wenn man eine Weile drinnen war, brennt die Sonne gleich doppelt stark. Egal, weiter zu Letzte Instanz. Diese lassen bereits den Bogen über die Saiten schnellen. Mit ihrer Mischung aus klassischen Klängen und Rock stellen sie heute eine Randgruppe zwischen der starken Konkurrenz aus NDH und Synthi Sounds dar. Musikalisch gesehen. Sie stoßen damit trotzdem auf breite Begeisterung. Auch wenn sich das Publikum, dass keinen Platz unter den Sonnenschirmen ergattern kann, doch etwas verflüchtigt. Zu unerbittlich ist die Nachmittagssonne.

Im Theater wird es auch erst mal gemütlich. Isaac Howlett von Empathy Test streichelt sanft die Seelen und schafft es erstmals heute das Theater bis zum Rand zu fühlen. Noch hält die Kühlung mit. Sicher auch, weil man sich bei Empathy Test mehr treiben lässt, als auf harten Beats zu reiten.

Mehr zum Tanzen war dann doch Solar Fake draußen. André Feller kann uns leider heute nicht beehren, dafür springt Elliot Berlin ein und fegt über die Bühne. Dicht gedrängt wird getanzt, was der Platz hergibt. Für ein Paar reicht es für einen klassischen Discofox. Aber es gibt nicht nur Schlechtes daran, dass das Amphi zweimal verschoben wurde. Solar Fake waren wie so einige in der Pause nicht untätig und haben natürlich einiges an neuem Material im Gepäck.

Auf der Mainstage zollt die Sonne bereits ihren Tribut. Zu Mesh haben sich die Reihen gelichtet: Der Fluch der frühen Abendstunden. Während viele Besucher in den Schatten flüchten, auf der Suche nach einer Stärkung und einer Pause vor den Headlinern, freuen sich die gebliebenen über mehr Platz im Schatten. Wobei viele trotzdem nicht tanzen, was eher daran liegt, das sie zu viel Singen und ohne jahrelange Übung – man hat während Corona schon etwas abgebaut – ist beides gleichzeitig nicht drin …

 

Pause … was ist das denn? Das denken sich die Tanzwütigen im Theater. Aufgepeitscht von den harten Beats von [:SITD:] hämmern sie los. Im Blitzlichtgewitter schnellen die Arme und Beine umher und nach schon wenigen Minuten ist die Luft zum Schneiden dick. Zu ihrem Club Hit “Snuff Machinery” dreht die Menge noch einmal richtig auf, bevor sie nach draußen Strömen. Hier ist zwar nicht kühler, aber dafür stimmt hier wenigstens der Sauerstoffanteil.

Mit einem lauten Knall kündigen sich Mono Inc. auf der Mainstage an und ist direkt Feuer und Flamme. “Ich bin so stolz auf euch, dass ihr nach dieser schwierigen Zeit alle wieder gekommen seid. Ihr seid die wahren Helden. Spamt eure Lieben zu mit Bildern. Zeigt, dass das Leben wieder losgeht. Wir leben nur einmal!” Immer wieder sieht man die Handys aufsteigen, um Bilder oder Videos aufzunehmen. Vorwiegend wenn mal wieder fleißig mitgesungen wird. Besonders in der Akustik-Einlage von Sänger Martin wird bei “Halleluja” und “The Passenger” ordentlich von vor der Bühne geschmettert. Zu “Children of the Dark” singt das Publikum noch, da haben Mono Inc. schon längst ihre Instrumente zur Seite gelegt und verneigen sich vor den wahren Helden: Dem Publikum.

Die Überschneidungen zwischen Mainstage und Theater Stage finden bei den Headlinern ihren Höhepunkt und so fangen auf der Theater Stage The Birthday Massacre nur fünf Minuten nach VNV Nation auf der Mainstage an. Bei vollständig ausverkauftem Haus inkl. Tagestickets muss sich aber keiner von beiden verstecken. “Liebe Leute, ich habe euch vermisst. Wir mussten zwei Jahre warten – aber heute wird es sich lohnen.” Und dann legt Ronan Harris von VNV Nation los. In gewohnt witziger Weise springt der Ire über die Bühne. Heute vor Freude kaum zu bändigen, geht er immer wieder auf sein Publikum ein. “Scheiß, egal, ob es euch gefällt, ich habe so viel Spaß heute Abend!” Teilweise muss er mitten im Song anfangen zu lachen, denn nicht nur er selbst lässt richtig die Sau raus. “Ich hab ihm versprochen, sein Tattoo zu signieren. Hat jemand die Möglichkeit, ihn hochzubringen?” Ein Fan hat dann seinen großen Moment. Ronan unterschreibt auf der Bühne mit einem schnell organisierten Edding das riesen VNV Nation-Tattoo auf seinem Rücken. Aber auch inhaltlich gibt es Neues: Auf dem 30-jährigen Jubiläumskonzert in Gelsenkirchen am 30. Juli 2022 wird es eine neue Single geben, vom kommenden Album “Electric Sun”, das im Februar 2023 erscheinen wird. Natürlich direkt mit der passenden Tour.

Und dann ist auch schon Schluss. Die Grenze von 22 Uhr ist auch noch drei Jahren Pause immer noch indiskutabel. Wer mehr Musik will, muss zur Aftershow Party, aber viele sind auch einfach nur geschafft von der Hitze und entspannen noch bei einem kühlen Getränk. Fazit vom ersten Tag Amphi 2022: Die Abstinenz tat einigen gut! Die Besucher waren selten so begeistert, auch von den kleineren Acts. Selbst die Bands, deren Shows sich mit den Jahren immer mehr nach Abspulen von Schema F anfühlten, haben neuen Elan gefunden. Also Ausschau halten auf den nächsten Festivals. Der frische Wind macht sich bemerkbar. In der Not haben sich auch einige etwas neu erfunden. Seit gespannt darauf, was der zweite Tag bringt!

Mirco Wenzel Mirco Wenzel

Seit seinem ersten Konzertbesuch in 2013, dreht sich Mircos Welt um kaum etwas anderes. So ist es auch nicht weiter wunderlich, dass er seinen Jahresurlaub fast ausschließlich auf Festivals verbringt. Sein Hintergrundwissen und Erfahrungen der letzten Jahre möchte er jetzt auch mit anderen teilen.