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Der Sonntag bei Rock am Ring 2025: Finale mit Feingefühl und Fantasymetal

Dominik FiolkaDominik Fiolka, 08.06.2025

Dominik Fiolka

Dominik Fiolka
08.06.2025

Der dritte Tag von Rock am Ring hätte leicht zur Erschöpfungsprobe werden können – drei Tage Schlafmangel, Ravioli aus der Dose und Staub, der sich anfühlt wie Schleifpapier auf der Lunge. Doch dieses Jubiläum macht keine halben Sachen. 40 Jahre Rock am Ring bedeuten: Auch am Sonntag gibt’s kein Ausrollen im Leerlauf, sondern Vollgas bis zum Schluss. Das Line-up ist ein klares Statement: Hier wird nicht müde geflüstert, sondern bis zur letzten Minute nach vorne gespielt – mit Nachdruck, Wucht und Stil. Selbst das Wetter spielt mit: Keine Hitzeschlacht, aber trocken und festivalfreundlich.

Korn geben den Ton an – mit einem Nu-Metal-Abriss, der zeigt, dass „Freak on a Leash“ live immer noch einschlägt wie ein Vorschlaghammer. Powerwolf verwandeln die Bühne in eine Metal-Messe zwischen Sakralem und Spektakel, während The Ghost Inside emotionale Tiefe mit Hardcore-Energie verbinden. Falling in Reverse liefern Genregrenzen zum Einstürzen und Sleep Token verabschieden das Festival mit einem eindrucksvollen, atmosphärischen Finale, irgendwo zwischen R’n’B, Post-Metal und spirituellem Rausch. Wer da noch stehen kann, bleibt garantiert nicht unberührt. Der Sonntag ist kein Ausklang – er ist der emotionale Höhepunkt. Rock am Ring feiert 40 Jahre, als wäre es erst der Anfang – weiter geht’s vom 5. bis 7. Juni 2026. Tickets gibt’s ab Dienstag, 12. Juni 2025.

Dead Poet Society

Dead Poet Society eröffnen den Festivaltag mit einer Performance, die ebenso kompromisslos wie fesselnd ist – roh, eigenwillig und voller künstlerischer Kante. Frontmann Jack Underkofler und seine Bandkollegen Jack Collins, Will Goodroad und Dylan Brenner liefern einen Sound, der zwischen Alternative Rock, Grunge, Blues und avantgardistischem Anspruch changiert, ohne je beliebig zu wirken. Mit Songs wie „.CoDA.“, „intoodeep“ und frischem Material vom aktuellen Album Fission beweisen sie, dass große Bühnen auch ohne klassische Songstrukturen oder Hochglanzproduktion erobert werden können. Ihr Set wirkt wie ein musikalisches Experiment unter Strom – intensiv, ungeschliffen und voller emotionaler Wucht. Dead Poet Society entziehen sich jeder Genre-Schablone, ohne auf Eingängigkeit zu verzichten. Wer sich darauf einlässt, erlebt einen ungewöhnlichen, aber umso stärkeren Festivalmoment.

Polaris

Polaris legen direkt mit voller Wucht los und machen schnell klar, warum sie aktuell zu den spannendsten Vertretern des modernen Metalcore zählen. Frontmann Jamie Hails, gemeinsam mit Rick Schneider, Jake Steinhauser und Daniel Furnari, liefert ein kraftvolles Set aus schweren Breakdowns, hymnischen Refrains und einer spürbaren emotionalen Tiefe. Besonders bewegend ist der Auftritt, da es der erste Festival-Sommer ohne den verstorbenen Gitarristen Ryan Siew ist – dessen Parts von Jesse Crofts mit Respekt und Präzision übernommen werden. Das aktuelle Album Fatalism, posthum mit Siews Beiträgen entstanden, feierte in Australien große Erfolge und brachte Songs wie „Nightmare“ und „Inhumane“ auf die Setlist, die live noch intensiver wirken. Polaris verbinden musikalische Komplexität mit echter Verletzlichkeit und erschaffen so eine Show, die unter die Haut geht. Wer sie live erlebt, merkt schnell: Diese Band ist längst mehr als ein Geheimtipp.

The Warning

The Warning liefern ein kraftvolles Rock-Statement, das eindrucksvoll zeigt, wie viel Dynamik und Präsenz in einem Trio stecken kann. Die drei Schwestern Dany, Pau und Ale Villarreal aus Mexiko bringen mit ihrem energiegeladenen Zusammenspiel, rohem Sound und starker Bühnenausstrahlung die Menge mühelos auf Betriebstemperatur. Mit Songs wie „CHOKE“, „MONEY“ und neuem Material vom aktuellen Album Keep Me Fed zeigen sie, dass moderner Rock weder retro noch beliebig klingen muss. Ihr Sound vereint Elemente aus Alternative, Hard Rock und Grunge zu einer Mischung, die druckvoll und zugleich angenehm ungekünstelt wirkt. The Warning stehen für eine junge, selbstbewusste Generation, die Rockmusik neu definiert, ohne ihre Wurzeln zu verleugnen. Wer sie live erlebt, merkt: Hier wächst keine Kopie, sondern ein echtes Original heran.

Jerry Cantrell

Jerry Cantrell beweist eindrucksvoll, dass er auch abseits von Alice in Chains ein fesselnder Frontmann ist, der mit seiner Solo-Show mühelos große Bühnen trägt. Mit einer Setlist, die Klassiker seiner Grunge-Vergangenheit mit Songs vom aktuellen Album I Want Blood kombiniert, entsteht ein Spannungsfeld aus Nostalgie und frischer Kreativität. Tracks wie „Vilified“ und „Afterglow“ transportieren Cantrells unverkennbare Handschrift: düstere Riffs, melancholische Tiefe und eine emotionale Ehrlichkeit, die unter die Haut geht. Sein viertes Soloalbum, erschienen im Oktober 2024, verbindet Alternative-Metal-Wurzeln mit zeitgemäßem Songwriting und verleiht seinem Set zusätzliche Relevanz. Für Liebhaber ehrlicher Rockmusik war dieser Auftritt mehr als nur ein Pflichttermin – er war ein bewegender Höhepunkt.

Idles

Die Idles zeigen eindrucksvoll, dass rohe Wut, klare Haltung und hemmungslose Energie auch 2025 nichts von ihrer Durchschlagskraft verloren haben. Frontmann Joe Talbot keift, schreit und predigt sich mit Songs wie „Never Fight a Man With a Perm“, „Danny Nedelko“ und frischem Material vom aktuellen Album TANGK in die Herzen und Köpfe der Menge. Unterstützt von der entfesselten Live-Präsenz von Mark Bowen, Lee Kiernan, Adam Devonshire und Jon Beavis, wird die Bühne zum Schauplatz eines musikalischen Ausnahmezustands – laut, chaotisch, leidenschaftlich. Zwischen krachenden Riffs und wilden Pogo-Eruptionen steckt immer eine tief menschliche Botschaft, die Talbot mit jeder Faser seines Körpers transportiert. Seine Wut ist echt, sein Mitgefühl ebenso – und genau das macht jeden Auftritt so intensiv. Die Idles sind nicht einfach eine Band, sie sind ein Aufschrei – unbequem, befreiend und absolut notwendig.

Jinjer

Jinjer liefern eine Performance, die eindrucksvoll unterstreicht, warum sie zu den innovativsten und kraftvollsten Bands im modernen Metal zählen – technisch präzise, stilistisch facettenreich und live eine Wucht. Frontfrau Tatiana Shmayluk brilliert mit ihrer stimmlichen Wandelbarkeit, wechselt scheinbar mühelos zwischen glasklarem Gesang und gutturalen Growls, während Roman Ibramkhalilov, Eugene Abdukhanov und Vladislav Ulasevich ein komplexes Klanggewitter entfesseln. Mit Songs wie „Pisces“, „Vortex“ und frischen Tracks vom aktuellen Album Wallflowers Deluxe schaffen sie einen Soundkosmos, der Härte und Tiefe meisterhaft vereint. Besonders auffällig ist die Fähigkeit der Band, zwischen brachialem Druck und atmosphärischen Passagen zu balancieren – ein Spannungsfeld, das live noch intensiver wirkt. Die Ukraine-Flagge auf der Bühne steht nicht nur symbolisch, sondern verdeutlicht Jinjer als Band mit klarer Haltung und starker künstlerischer Identität. Wer hier nicht ins Schwitzen kommt, verpasst einen der stärksten Live-Momente des Festivals.

Beatsteaks

Die Beatsteaks liefern ein energiegeladenes Set ab, das wie ein euphorisches Heimspiel wirkt – voller Spielfreude, Humor und Punkrock-Charme. Mit ihrem typischen Mix aus Alternative Rock, Punk, Pop und der berüchtigten Berliner Schnauze bringen Arnim Teutoburg-Weiß, Bernd Kurtzke, Peter Baumann, Thomas Götz und Torsten Scholz das Publikum vom ersten Ton an in Bewegung. Songs wie „Hand in Hand“, „Let Me In“ und „I Don’t Care As Long As You Sing“ reißen genauso mit wie neues Material vom aktuellen Album Please (2025), das mit einer gelungenen Mischung aus Reife, Rotz und hymnischem Drive überzeugt. Was diesen Auftritt besonders macht, ist die spürbare Nähe zur Crowd – kein Pathos, kein Gehabe, nur ehrliche Energie und gegenseitiger Respekt. Die Band wirkt wie eine eingeschworene Einheit, die ihr Publikum nicht unterhält, sondern mitnimmt. Wer hier nicht mittanzt, ist entweder taub oder steht zu nah an der Bierbude.

The Ghost Inside

The Ghost Inside bringen ein Metalcore-Set auf die Bühne, das rohe Wucht mit emotionaler Tiefe verbindet und gleichzeitig Mut und Zuversicht ausstrahlt. Frontmann Jonathan Vigil, zusammen mit Zach Johnson, Chris Davis, Jim Riley und Andrew Tkaczyk, zeigt, warum die Band nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich zu den bewegendsten Geschichten der Szene zählt. Mit Songs wie „Engine 45“, „Avalanche“ und frischem Material vom aktuellen Album Searching for Solace schaffen sie einen Moment kollektiver Katharsis – laut, intensiv und zutiefst ehrlich. Zwischen harten Breakdowns und einprägsamen Hooks geht es um mehr als Musik: um Schmerz, Heilung und ungebrochene Willenskraft. Besonders bewegend ist Vigils Dank an die Fans für ihre jahrelange Unterstützung seit dem tragischen Busunfall – ein Moment, der für spürbare Gänsehaut sorgt. Dieses Konzert ist nicht nur ein Comeback, sondern ein emotionaler Meilenstein mit Nachhall.

Falling in Reverse

Falling in Reverse liefern ein Spektakel ab, das irgendwo zwischen Eskalation, Genregrenzen-Sprengung und perfekter Selbstinszenierung oszilliert. Ronnie Radke steht einmal mehr als charismatischer Antiheld im Zentrum, während Christian Thompson, Tyler Burgess, Max Georgiev und Luke Holland musikalisch mühelos zwischen Metalcore, Rap, Pop-Punk und Stadionrock wechseln. Songs wie „Popular Monster“, „Voices in My Head“ und die neue Single „Ronnie’s Revenge“ vom aktuellen Album Neon Necropolis zünden wie eine Mischung aus Blockbuster und Bühnenabriss. Die Show ist mehr als ein Konzert – sie ist ein audiovisuelles Feuerwerk aus Pyro, Pathos und Punchlines. Trotz aller Kontroversen zeigt die Band, dass sie nicht nur lautstark polarisiert, sondern auch handwerklich überzeugt. Wer auf große Gesten, dicke Hooks und maximalen Reizüberfluss steht, kommt hier voll auf seine Kosten.

Lorna Shore

Lorna Shore entfesseln ein klangliches Inferno, das irgendwo zwischen apokalyptischer Wucht und majestätischer Inszenierung liegt – ein Deathcore-Erlebnis, das selbst abgebrühte Metalheads staunend zurücklässt. Frontmann Will Ramos, berüchtigt für seine beinahe übermenschliche Stimmgewalt, wird von Adam De Micco, Andrew O’Connor, Michael Yager und Gary Herrera mit technischer Präzision getragen. Songs wie „To the Hellfire“, das monumentale „Pain Remains“-Trio und neue Tracks vom aktuellen Album Soulless Divine vereinen symphonische Düsternis mit gnadenloser Härte. Die Lichtshow ist bedrohlich, die Atmosphäre dicht – ein audiovisueller Sog, der zwischen Oper und Untergang schwankt. Lorna Shore zeigen eindrucksvoll, dass Extreme nicht nur zerstören, sondern auch überwältigen können. Dieses Set ist kein Konzert – es ist ein musikalischer Kollaps, kunstvoll orchestriert.

Powerwolf

Powerwolf verwandeln das Infield in eine theatralische Metal-Zeremonie, bei der Pyros, Chöre und Donnerhall zum guten Ton gehören. Frontmann Attila Dorn, flankiert von Falk Maria Schlegel, Charles und Matthew Greywolf sowie Roel van Helden, führt mit sakraler Wucht und theatralischer Geste durch ein Set, das mehr Show als bloßes Konzert ist. Songs wie „Amen & Attack“, „Demons Are a Girl’s Best Friend“ und neue Hymnen vom aktuellen Album Wake Up the Wicked entfalten live ihre volle Pracht – laut, eingängig und episch. Powerwolf verbinden metallische Härte mit einem Sinn fürs Dramatische, der irgendwo zwischen Kirchenmesse und Fantasy-Blockbuster liegt. Die Bühnenshow ist überzogen, gewollt pathetisch – und genau deshalb so mitreißend. Wer hier steht, wird nicht nur unterhalten, sondern in ein bombastisches Ritual hineingezogen, das noch lange nachhallt.

Aufgrund von Foto-Restriktionen war es uns leider nicht möglich Powerwolf bei Rock am Ring 2025 zu fotografieren.

Korn

Wenn Korn die Bühne betreten, lodert nicht nur der Staub, sondern auch die kollektive Erinnerung an den Ursprung des Nu-Metal – und am Sonntag bei Rock am Ring zeigen sie erneut, warum sie diesen Thron bis heute verteidigen. Jonathan Davis führt mit seinem unverkennbaren Gesang zwischen Schmerz, Wut und Wahnsinn durch ein Set, das mit Klassikern wie „Freak on a Leash“, „Falling Away from Me“ und „Got the Life“ einen Volltreffer nach dem nächsten landet. Flankiert von den Gitarrenwänden von James „Munky“ Shaffer und Brian „Head“ Welch, dem grollenden Bass von Fieldy und Ray Luziers unnachgiebigem Drumming, entsteht ein Soundgewitter mit Gänsehautfaktor. Korn schaffen den Spagat zwischen nostalgischer Wucht und aktueller Relevanz – auch dank ihres aktuellen Albums Requiem, das nahtlos an ihre düstere Soundgeschichte anknüpft. Ihre Live-Performance ist keine bloße Erinnerung an alte Zeiten, sondern ein emotional aufgeladenes Statement voller Energie, Präzision und Präsenz. Wer diese Show verpasst hat, hat nicht nur Musik verpasst, sondern ein Stück Rockgeschichte in Echtzeit.Aufgrund von Foto-Restriktionen war es uns leider nicht möglich Korn bei Rock am Ring 2025 zu fotografieren. 

Sleep Token

Sleep Token krönen die Sonntagnacht und verabschieden das 40. Jubiläum von Rock am Ring mit einem letzten, beinahe spirituellen Akt – einer Show, die mehr Ritual als Konzert ist. Die maskierte Formation rund um Frontfigur Vessel und Drummer II präsentiert ein intensives Set, getragen von Songs ihres neuen Albums Even in Arcadia, das weltweit die Charts stürmte – darunter die UK-Top-10-Single „Caramel“ und das virale „Emergence“. Zwischen düsterem Alternative Metal, gefühlvollem Pop und progressiver Wucht entfaltet sich eine Klangwelt, die zugleich sanft umarmt und erbarmungslos erschüttert. Begleitet von einer eindringlichen Licht- und Nebelchoreografie changiert das Set zwischen flüsternder Intimität und eruptivem Soundgewitter. Sleep Token zeigen, dass Musik nicht nur gehört, sondern körperlich gespürt werden kann – ein Wechselbad aus Ergriffenheit, Gänsehaut und kathartischer Ekstase. Als Headliner setzen sie ein still bebendes Ausrufezeichen ans Ende des Festivals und beweisen: Emotion ist die lauteste Waffe.

Aufgrund von Foto-Restriktionen war es uns leider nicht möglich Sleep Token bei Rock am Ring 2025 zu fotografieren.

Dominik Fiolka Dominik Fiolka Vechelde

Aus Berlin stammt Dominik. Mittlerweile in der Region 38 ansässig, jongliert er mit Zahlen und Worten gleichermaßen. So übernimmt er als einer der Köpfe hinter stagr regelmäßig die redaktionelle Berichterstattung.